Eltern, das ist bekannt, können sehr grausam sein. Gerne auch, ohne es selbst zu merken. Sie meinen es nur gut, und die undankbare Brut wirft es ihnen noch Jahrzehnte später vor.
Ich warf meinen ja gerne vor, dass sie zu wenig musikalisches Verständnis aufgebracht hatten. Oder vielmehr: dass sie sich nicht mal bemüht hatten. Daraufhin bekam ich immer zu hören: Wir haben den Unterricht bezahlt und die Noten gekauft.
Jaja, ich weiß, das alles und die - damals noch - Schallplatten. Kind wünscht sich jedoch, sich die Platten gemeinsam mit den Eltern anzuhören. Wenn ich mich erinnere, mit welch spitzen Fingern die Leonard Bernstein-Einspielung der Rhapsody in Blue in mein Zimmer getragen wurde (10. Geburtstag, ca.): Da stellt sich gar nicht erst die Frage "Wollt Ihr auch...?". Musikalisches Verständnis muss man ja auch wollen.
Ich darf da aber nicht ungerecht sein. Ich war schon ganz früh ein Ausreißer, so ungefähr ab drei, sagt mein Vater immer. Es heißt, jedes Kind sucht sich seine Nische in der Familie. Meine Schwester (sieben Jahre älter) hatte schon so einige Nischen komplett besetzt und war nicht bereit, zu weichen oder auch nur zu wanken. Sie war ein Sportass, sprach hervorragend Französisch, interessierte sich für sämtliche Naturwissenschaften, war der Sonnenschein auf jeder Familienfeier, die Königin des Smalltalk, konnte Tanzen, Tischfußball, Billard, zog Scharen von Männern hinter sich her, die Reihe lässt sich endlos fortsetzen. Einzig beim Klavierspiel war sie nicht ganz so bei der Sache, das war dann wohl meine Chance. Bis ich herausfand, dass sie nur deshalb nicht so ganz bei der Sache gewesen war, weil sich unsere Eltern nicht dafür interessierten. Ich hatte mir also die denkbar ungünstigste Nische gesucht. Niemand in dieser Familie war auch nur für fünf Pfennige musikalisch. Beethoven und Liszt müssen Höllenqualen ausgelöst haben. Ravel und Brahms Ohnmachten. Die Aufforderungen bei Geburtstagen, ich solle doch mal was vorspielen, zielten auf den Flohwalzer oder ein nettes Volkslied, und was kam? Ich hämmerte mit Hingabe eine zehnminütige Nocture von Chopin oder sowas unangemessenes. Das macht, ganz ehrlich, jede Feier auf dem Dorf kaputt. Das gehört da nicht hin.
Wie kann ich es ihnen also vorwerfen, dass sie mir nicht dorthin gefolgt sind?
Aber eins versteh ich bis heute nicht. Ich wünschte mir einmal eine Kassette von Peter Schilling. Egal welche, sagte ich. Schrieb den Namen auf einen Zettel und wiederholte ihn mehrfach. Sie kamen zurück mit Peter Maffay und der ungeduldigen Frage: Ist das nicht dasselbe? Der heißt doch auch Peter und sieht komisch aus.
Sonntag, Juni 22, 2008
Nischenverhalten bei Kindern
Eingestellt von Henrike um 11:30 AM
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