Samstag, Dezember 29, 2007

In With The Ladies

Vorhin haben sie das Hamburg-Konzert von Rufus Wainwright auf arte gezeigt. Dafür hatte ich Karten, aber, naja, siehe Eintrag vom 2.12. Vor dem Fernseher konnte ich mir aussuchen, ob ich mich a.) ärgere über das, was ich verpasst habe oder b.) freue, dass arte diesen einen Abend extra für mich gefilmt hat. Eindeutig b., aber noch aus einem anderen Grund: die Schwenks ins Publikum.
Es ist doch so: Wenn man etwas besonders gerne mag, dann ist man sich sicher, dass es sich insgesamt ausschließlich um ganz besondere Menschen handeln muss, die dieses Etwas auch ganz besonders mögen. Deshalb will man außerdem, dass die Menschen, die man für besonders hält, mit einem seine besonderen Vorlieben teilen. Auf einem Rufus Wainwright-Konzert tummeln sich somit in der eigenen Vorstellung ausgebildete klassische Musiker, Menschen mit feinem Verständnis für die subtilen und weniger subtilen Texte, Liebhaber ausgesprochen exzentrischer Mode und Verfechter der homosexuellen Lebenskultur. Man selbst, bescheiden von Hause aus, ist überzeugt, in dieser wunderbaren Menge noch der gewöhnlichste, langweiligste Besucher zu sein.
Es ist nicht so. Die Kamera zeigt verzückte Sachbearbeiterinnen jenseits der 45, die mit geschlossenen Augen mitsingen und dazu schunkeln. Spätestens seit Hornbys „About A Boy“ ist klar, dass Singen mit geschlossenen Augen gar nicht geht. Dann auch noch an den falschen Stellen, so dass klar ist: Sie wissen leider gar nicht, was sie da mitsingen. Die Kamera zeigt auch schnauzbärtige Herren um die 50, neben ihnen die jeweils Angetraute, die selbst an diesem Abend nicht begreifen wird, woher seine Begeisterung für den jungen Rufus kommt.
Dafür wechselt Wainwright mindestens vier Mal sein Bühnenkostüm, seine Band muss in gestreiften bunten Anzügen performen, und ach, es ist schon schön. Auch vorm Fernseher: kein Gekreische, keine schlechte Luft, niemand, der trotz Sitzreihen plötzlich meint, vor einem aufstehen und die Sicht verstellen zu müssen, kein verschüttetes Bier vom Sitznachbarn auf der Strumpfhose, und vor allem: keine mit geschlossenen Augen an den falschen Stellen sehnsuchtsvoll mitsingenden Konzertmitbesucherinnen. Ach, ich bin gemein. Ich weiß schon. Und ich weiß auch, dass es noch viel schlimmer geht: Wenn man zum Beispiel, sagen wir, ein Lieblingsparfum hat, und dann macht, jetzt muss ich mir was Schreckliches ausdenken, Celine Dion Werbung dafür. Das geht gar nicht. So gesehen ist eigentlich alles gut.

Freitag, Dezember 28, 2007

Das neue Jahr ...

... bringt einige Kurzgeschichten von mir:

Im Schweriner "Petermännchenmörder" gibt's eine Rostock-Story - "Diese Sache" - aus deutlich überraschender Perspektive. Buchpräsentation demnächst.

Christiane Geldmacher gibt zusammen mit dem Poetenladen einen Krimiband heraus, betitelt "Hell's Bells". Darin ein kleines Quasikriminaltheaterstückchen: "Der unglückliche Herr Dr. von und zu Wittenstein". Präsentation mit szenischer Lesung im März auf der Leipziger Buchmesse.

Für "Mord am Hellweg IV" darf ich eine Lüdenscheidgeschichte beisteuern. Präsentiert wird die Anthologie im Herbst.

Genaue Termine folgen. Aber ich dachte, mal so als Teaser ...

Das Versagen des Autors beim Aufhören


Das ist schön:
"Wissen Sie, meine Theorie ist, dass die Spannung, die wirkliche Spannung, der wirkliche Kitzel bei einem Kriminalroman – genauer gesagt, auf den letzten paar Seiten eines Kriminalromans – weniger mit der Enthüllung etwa der Identität des Mörders zu tun hat oder mit der Klärung seiner Motive oder mit sonst etwas, das die Autorin ausgeheckt hat, sondern mit der wachsenden Befürchtung des Lesers, dass sich das Ende nach all der Zeit und Mühe, die er in das Buch investiert hat, wieder einmal als Reinfall herausstellt. Mit anderen Worten, was die Spannung erzeugt, von der Sie sprechen, ist nicht etwa die Angst des Lesers, dass der Detektiv versagen könnte – er weiß, das passiert nie -, sondern dass der Autor versagt."
Kommt aus Gilbert Adair, "Ein stilvoller Mord in Elstree" ("A Mysterious Affair of Style"), gefunden und für gut befunden von dpr im hinternet.
Schlimmstes Versagen, kürzlich entdeckt: "The Blood Doctor" von Barbara Vine. Und ich habe diese Frau einst verehrt.

Selbstverhinderung

Da ist sie wieder, die Angst vor dem leeren weißen Blatt, auch wenn es nur so tut, als sei es ein weißes Blatt. In Wirklichkeit hat es mit Papier nichts zu tun, dieses Ding. Aber es tut nun mal so. Und leer bleibt es auch.
Dabei ist alles schon fertig: die Figuren, die Geschichte. Ein zweiseitiges Exposé, genaue Charakterbeschreibungen, exakte Ortsrecherche. Sogar die Seitenzahl ist vorgegeben, und es sind gar nicht mal so viele Seiten.
Vielleicht ist gerade das das Problem der Kurzgeschichte: Sie ist kurz. Und weil sie so kurz ist, wird einem keine Seite, kein Abschnitt, kein Satz, ja auch kein Wort verziehen. Die Schwellenangst steigt. Statt einfach anzufangen und auszuprobieren – was kann schon passieren, es ist nur ein kurzer Text, man kann wieder von vorne anfangen und hat nicht viel verloren – statt also einfach anzufangen, kommt der Prokrastinationswahn. Ich versuche, mich mit mir auf eine Erzählperspektive zu einigen und entscheide dann, dass es viel wichtiger ist, mir auf Ebay Handtaschen anzusehen, die ich mir sowieso nicht leisten kann. Oder ich fange an, Bücher zu lesen, die ich im Normalfall nach fünf Seiten der Leihbücherei stiften würde. Mein Prokrastinationswahn verhält sich antiproportional zur Aufgabe, wie mir scheint. Statt Romanschreiben wasche ich Wäsche. Statt Kurzgeschichteschreiben plane ich meinen Umzug.
Ich plane also meinen Umzug. Das mit Berlin und mir – so sehr ich es liebe, so sehr macht sich das Gefühl breit, dass wir ein wenig auf Distanz gehen sollten, diese Stadt und ich. Vielleicht wird man träge, wenn man zu früh dort ist, wo man die ganze Zeit hinwollte. Vielleicht bin ich bindungsunfähig. Vielleicht passen wir doch nicht zueinander. Vielleicht bin ich, wenn ich ehrlich bin, doch irgendwie enttäuscht. Ich probiere es aus, kündige meine Wohnung und suche mir eine neue Stadt mit einer neuen Wohnung.
Umziehen birgt so viel Prokrastinationspotential, dass ich mich – theoretisch – in den nächsten Monaten vor Arbeit nicht retten können dürfte. Es ist ein Experiment.
Das Papier, das eigentlich keins ist, bleibt so lange weiß, bis ich gezwungen bin, mich um Dinge wie Mietverträge zu kümmern. Dinge, die so wichtig sind, dass sich das Prokrastinieren wieder einschleicht, und so lande ich wieder bei dem leeren weißen Blatt, das seit einiger Zeit auf die Endung .docx hört, und schreibe meine Kurzgeschichte.

Mittwoch, Dezember 26, 2007

Jesus-Tourismus

Letztens las ich, dass wir das mit dem Weihnachten ja völlig falsch verstehen. Wir wissen nämlich überhaupt gar nicht, warum wir Weihnachten ausgerechnet Ende Dezember feiern statt wann anders. Wann Jesus genau geboren wurde, wird aus der Bibel nicht so recht klar, so viel wusste ich schon vorher, auch, dass unsere Zeitrechnung nicht stimmt und wir sie deshalb im Grunde nicht n.Chr. oder v.Chr. nennen sollen, sondern vielmehr n.u.Z. und v.u.Z. sagen. Oder so ähnlich.
Ich fand die Theorie, dass die ganze Weihnachtszeit auf die Rauhnächte gelegt wurde, um den Heiden den Übergang zum Christentum leichter zu machen, immer hübsch einleuchtend. Man setzt sich zusammen, schaut erstmal, was der andere so im Angebot hat, und erleichtert dann durch Kompromissbereitschaft die feindliche Übernahme.
Soll aber ganz anders gewesen sein, hat jemand rausgefunden. Neueste Theorie zum Weihnachtsdatum also: Im 4. Jh. n.u.Z. traten sich die Pilger in Bethlehem gerade um Ostern herum die Füße platt. Um das Spektakel zu entzerren, beschlossen die Kirchenvorsteher, die Geburt Jesu auf ein anderes Datum zu legen als seine Auferstehung. Der Winter schien ein touristisch günstiges Datum.
Das ist noch ernüchternder und entmystifizierender als so manch andere Theorie. Ich bleib lieber bei der mit den Rauhnächten.

Donnerstag, Dezember 20, 2007

Damals, in Berlin


Letztens, als Papa zu Besuch war, hab ich ihn gefragt, warum wir eigentlich schon mal zusammen in Berlin waren, so kurz nach der Maueröffnung, damals, 1989. Er meinte: Weil Du unbedingt hinwolltest. Das wäre dann ungefähr das erste Mal, dass was gemacht wurde, weil ich es unbedingt wollte. Da kann was nicht stimmen. Ich hake also nach und er fügt hinzu: Ach wahrscheinlich hattest Du mal ein gutes Zeugnis. Ich erinnere ihn an meinen Notenschnitt, der sich in 13 Schuljahren kein Stück verändert hat, und er zuckt die Schultern: Wir waren halt mal in Berlin.
Das ist nicht sehr aufschlussreich. Ich versuche mich zu erinnern, was wir alles gemacht haben, und er weiß viel mehr als ich. KaDeWe, sagt er, da haben wir gefrühstückt, im Pergamonmuseum waren wir, um die Goldelse sind wir gelaufen, in einem Hotel gleich am Ku’damm haben wir gewohnt, und Kreuzberg, ach, DAS war vielleicht was.
Dunkel kommt eine Erinnerung: Klein-Henrike rennt begeistert von einem Plattenladen zum nächsten. Er vertieft: Das werde ich nie vergessen, als wird in diesen Hinterhöfen rumgelaufen sind und uns diese Gestalten entgegen kamen. Gestalten? Ja, schwarze lange Mäntel und Kajal und so. Ich mache große Augen: Ach, Gruftis? Obwohl man ja heute Goths sagt, glaube ich, aber da bin ich mittlerweile genauso raus wie Papa noch nie drin war, in dem Thema. Er nickt eifrig. Sahen fast so aus wie Du, erklärt er und lässt es klingen, als hätten diese Gestalten doch immer noch deutlich vorzeigbarer ausgesehen als ich. Mit einem Ausdruck des Grauens erinnert er sich an meine bevorzugte Schuhmode: spitze Schuhe. Stiefel sogar. Mit riesigen Absätzen. Spitz im Sinne von arg spitz vorne. Wenigsten hatte ich keine mit Fledermausschnallen, verteidige ich meinen Spitzenkauf, den ich damals, das immerhin weiß ich noch, aus Soho mitgebracht hatte. Fledermausschnallen oder Totenkopfschnallen, das war in London schon längst out, bevor man in Deutschland damit angefangen hatte. Tja. Die 80er, die späten, schlimme Zeit. In alle Plattenläden wolltest Du, wenn sie nur düster genug aussahen, lamentiert er. Und wo Du noch überall hinwolltest, aber da konnte ich doch nicht hingehen, nicht mit einem Mädchen in Deinem Alter.
Gut, deshalb waren wir auch am Wannsee, fällt mir ein, und er wird bleich. Meine Tasche haben sie mir gestohlen, sagt er. Alles war da drin: Schecks, Schlüssel, Ausweise, alles. Die hast Du in der Bahn liegenlassen?, vermute ich, wie auch schon damals. Er verliert manchmal Sachen, Brillen zum Beispiel, das gehört einfach zu ihm. Vehement wird verneint: Eine Räuberbande!, behauptet er auch heute noch, fast 20 Jahre danach, und sucht erfolglos nach seinem Wohnungsschlüssel, weil er dort seine Brieftasche vermutet. Kopfschüttelnd beschreibt er noch einmal, wie ich damals aussah, und ich argumentiere damit, dass es sich um eine gesunde pubertäre Reaktion handelte. Wenigstens, meint er, hast Du nicht mehr diese entsetzlichen spitzen Schuhe. Ich nicke geistesabwesend und mache mir eine mentale Notiz, in seiner Gegenwart auf gar keinen Fall meine Chanel-Schuhe anzuziehen.
Manchmal ändert sich gar nicht so viel, wenn man mal vom Preis absieht.

Dienstag, Dezember 18, 2007

In Ordnung

In einem idyllischen Nest, irgendwo in Baden-Württemberg: Die Menschen, die dort leben, haben zum größten Teil Arbeit, die Region ist verhältnismäßig wohlhabend, der Einzelhandel blüht. Es gibt niedliche Fachwerkhäuschen in den engen, kopfsteingepflasterten Straßen (vorbildlich begrünt), und wenn man im Café an dem niedlichen Bächlein sitzt, hat man das Gefühl, dass hier noch alles wirklich schwer in Ordnung ist.
Wäre da nicht die Sache mit dem Waisenjungen. Nennen wir ihn Sebastian, weil mir gerade kein besserer Name einfällt. Sebastian ist 12 Jahre alt und lebte einige Jahre in einer Pflegefamilie. Aber Sebastian war nicht in der Lage, soziale Kontakte aufzubauen. Das fand der Betreuer vom Jugendamt irgendwie schlecht und nahm ihn aus der Pflegefamilie raus. Vor ungefähr einem Jahr. Seitdem hat sich Sebastian in der Schule immerhin von überall ungenügend auf überall mangelhaft verbessert. Aber er hat auch 10 Kilo zugenommen, seit er im Waisenhaus wohnt, und Freunde hat er immer noch keine. Das Jugendamt ist trotzdem zufrieden.
Einer seiner Lehrer versucht schon seit langer Zeit, mit Sebastian Kontakt aufzunehmen, aber es gelingt ihm nicht. Er hat eine Klasse von über 30 Schülern, die auch so ihre Problemchen haben, aber er lässt nicht locker, weil er findet, dass Sebastian eine Konstante in seinem Leben braucht. Dieser Lehrer schreibt auch immer wieder Briefe an das Jugendamt, denn er findet, dass etwas mit Sebastian passieren muss. Besonders, seit Sebastian diese kleinen Zettel schreibt, auf denen etwas steht von Bomben und Amoklauf und Selbstmordattentat.
Das Jugendamt aber findet, dass Sebastian noch zu klein ist für Bomben und Amoklauf und Selbstmordattentat. Er ist ja erst 12. Aber auf der Akte klebt immerhin der Vermerk „dringend“, was die Bearbeitungszeit auf acht Wochen verkürzt. Sebastians Betreuer beim Jugendamt schlug kürzlich vor, ihn in eine geschlossene Anstalt einzuweisen. Der Lehrer findet, dass psychologische Betreuung dringend erforderlich ist, zweifelt aber ein wenig am dem Modell der Geschlossenen. Passiert ist immer noch nichts.
Der Lehrer hat nun schon zum, naja, er hat vergessen wievielten Mal an das Jugendamt geschrieben. Jetzt überlegt er, was er noch tun kann, weil er irgendwie doch Angst davor hat, dass dieses niedliche Nest in Baden-Württemberg demnächst in den Schlagzeilen ist. Er denkt immer an diesen Satz, den sie im Fernsehen gesagt haben, nachdem die Mutter in der Nähe von Plön ihre drei Jungs erstickt hatte: "Wir waren vor Ort und haben uns ein Bild von der Familiensituation gemacht. Das sah alles ganz ordentlich aus. Die Waschmaschine lief ja." So oder so ähnlich.
Das Jugendamt sagt zu ihm, sie würden gerne, aber sie haben zu wenig Kapazitäten, und vor Weihnachten passiert sowieso nichts mehr.
Sebastian malt weiter kleine Zettelchen mit Bomben, für die sich niemand außer diesem einen Lehrer interessiert. Was er, sagen wir, im Internet macht, das weiß auch sein Lehrer nicht.

Gründe

Hinter den Kulissen

Dramatis Personae:
HH
Chorrepetitor S

HH: Männerdomäne!
S: Quatsch. Da gibt’s genug Weiber.
HH: Weiber! Aha!
S: Frauen.
HH: Aber doch nur, weil ihr uns für den Sopran braucht.
S: Ach, da laufen doch auch sonst noch welche rum.
HH: Die Berliner Philharmoniker hatten 100 Jahre lang keine Frauen im Orchester! Karajan hat…
S: Pah, das ist doch …! Ein alter Hut! Und was ist mit der Anne-Sophie Mutter? Die ist ne Frau und berühmt.
HH: Ja, und sie ist die einzige, die allen einfällt, wenn’s um nichtsingende Frauen im Klassikbereich geht. Und sonst? Hm? Klavier?
S: Ähm … Diese beiden Schwestern …
HH: Die merkst du dir doch nur, weil sie irgendwelche Männerphantasien bedienen. Echt, typisch.
S: Aber es ist echt besser geworden in den letzte Jahren.
HH: Im Mittelfeld, wo alle untergehen, ja.
S: Na, und da ist doch noch diese … diese …
HH: Martha Argerich?
S: Genau! Die ist toll!
HH: Stimmt.
S: Die spielt wie fünf Männer!
HH: Merkste was?

Namensgleiches

Es ist ein bisschen ungerecht, ganz oft, wenn man Namen verwechselt. Robert und Martin Walser, zum Beispiel, das geht gar nicht. Sagt auch anobella. Der arme Robert. Dass man Richard Strauss in Verwandtschaftsverhältnisse zu Johann Strauß senior und junior rückt, gut, sie haben alle irgendwie komponiert und heißen schon sehr gleich. Geht aber auch gar nicht. In dem Fall: der arme Richard.
Aber dann: Schubert und Schumann. Wie kommt das? Sie werden immer in einen Topf geworfen. Schon von meinem Klavierlehrer, der immer sagte: "Alles, was mit Schu anfängt, spielen wir nicht."
Ich soll einen Artikel über Schubert schreiben, und seitdem fragt mich jeder, wie weit ich mit dem Schumann bin. Deshalb hier für alle:
Einer heißt Franz, der andere Robert. Schubert ist dreizehn Jahre vor Schumann geboren, nämlich 1797, und dazu noch in Wien, nicht in Zwickau. Schubert war nie verheiratet, Schumann schon, mit Clara, auf die er fürchterlich neidisch war, weil sie besser Klavierspielen konnte als er und – so munkelt man – auch besser komponieren. Angeblich hat er hin und wieder seinen Namen auf ihre Kompositionen geschrieben. Schubert hat so viel selbst komponiert, dass er gar keine Zeit gehabt hätte, seinen Namen noch woanders draufzuschreiben, außerdem hatte er keine Ehefrau, er zog den Verkehr mit Professionellen vor. Was noch? Ah, beide hatten Syphilis. Schubert wurde deshalb nur 31 Jahre alt, Schumann entschied sich für das volle Programm: nahm noch den Wahnsinn mit und starb mit 46 in der Nervenheilanstalt.
Zusammenfassend: Schubert wird von Rufus Wainwright sehr verehrt, Schumann hat die deutlich interessantere Biographie, aber es hilft nicht: Ich mag beide immer noch nicht spielen.
Ein Freund von mir sagt immer: "Diese Syphilis ist ja eine ganz abscheuliche Krankheit. Sie hat viel zu lange gebraucht, um die beiden dahinzuraffen." Er muss einen ganz ähnlichen Klavierlehrer gehabt haben. Seltsam.

Sonntag, Dezember 16, 2007

Wir schauen fern

Eigentlich wollte er die „Zürcher Verlobung“ schauen, musste dann aber feststellen, dass es sich nicht um den Originalfilm, sondern irgendein lähmendes ARD-Remake handelte, und so landete er auf RTL bei Mario Barth. Nachdem ich ihn eine halbe Stunde vor sich hinkichern hörte, setzte ich mich zu ihm und schaute mit. Rechtzeitig zu dem Punkt, als Barths Comedian-Kollege mit einem Panzer einen BMW vor der Studiohalle plattmachte, der angeblich falsch geparkt war. Der BMW gehörte jemandem aus dem Publikum. Dessen Vater schien eingeweiht, denn er grinste ununterbrochen. Auf die Frage, wieviel sein BMW bis vor der Panzerbegegnung noch wert war, sagte der Mann etwas von vierzigtausend Euro. Sein Vater grinste immer noch sehr zufrieden. Als es dann hieß, der Vater hätte den BMW dort geparkt, war klar, dass die Sache abgesprochen war.
Als Entschädigung bekam der Mann natürlich einen Neuwagen. Was denkt sich nun ein BMW-Fahrer, wenn ihm RTL, der quotenstärkste deutsche Sender, zur Primetime seine Karre live vor laufenden Kameras mit einem Panzer zerschrottet? In der Show des angeblich erfolgreichsten Comedians Europas? Ich frage Papa, ebenfalls BMW-Fahrer, und der kann es noch nicht glauben, was er da gesehen hat, der ist sich noch sicher, dass es ein Trick war, oder ein anderes Auto, irgendwas in der Art. Ich dränge: Was würdest Du erwarten, wenn sie Dir Deinen BMW plattmachen? Und er sagt: Na mindestens dann aber mal nen Porsche, sonst lohnt sich das Theater doch nicht.
Statt Porsche kommt ein Seat. In Metallicsilbergrau. Barth wagt es auch noch, Witze darüber zu reißen, dass sich die jungen Mädchen jetzt um den stolzen Besitzer reißen würden. Papa wird bleich. Der Mann im Fernsehen wird ebenfalls bleich, reißt sich aber zusammen, schließlich laufen Kameras. Sein Vater sitzt immer noch im Publikum und grinst. Ein Seat, flüstert Papa und schüttelt fassungslos den Kopf. Wie muss sich ein Mann fühlen, für den ein 3er BMW schon ein niedlicher Kleinwagen ist, wenn man ihm seinen Wagen unwiderbringlich zerstört, um ihm dann einen billigen Seat für, sagen wir großzügig, fünfzehntausend Neupreis hinzustellen? Er leidet mit dem Mann im Fernsehen, und der Vater des Mannes im Fernsehen grinst so breit, dass ich denke: schwelender Vater-Sohn-Konflikt, basierend auf Konkurrenzsituation. Die beiden sehen wir demnächst vielleicht bei „Zwei bei Kallwass“. Das wäre doch logisch in der Verwertungskette.
Papa ist immer noch erschüttert und will an einen hundsgemeinen Trick glauben. Aber RTL tut ihm den Gefallen nicht. Die Sache wird nicht aufgelöst. Vielmehr: Sie entlassen uns mit der Lösung Seat gegen BMW. Papa will nie wieder RTL schauen. Ich schlage ihm vor, zu Hause anzurufen und sich zu erkundigen, ob in der Garage alles in Ordnung ist. Er nickt betroffen und sucht sein Handy.

Donnerstag, Dezember 13, 2007

Offlinemodus

Dramatis Personae:
HH (offline)
T (Call-Center-Mitarbeiter einer Telekommunikationsfirma)
M (Herr Maischein)

HH: ... dann machen Sie ein Linereset, das hilft manchmal!
T: Nein, das mach ich nicht, das hilft nicht!
HH: Doch! Tun Sie irgendwas!
T: Da kann ich Ihnen jetzt unmöglich helfen. Von unserer Seite aus geht da erstmal gar nichts. Frühestens in drei Tagen kann ich jemanden vorbeischicken.
HH: Es ist aber dringend. Ich muss arbeiten!
T: Tut mir Leid, ich kann da gar nichts machen, wir …
HH: Sie verstehen nicht. Wenn ich kein DSL habe, kann ich nicht arbeiten. Ich brauche dieses Internet, um arbeiten zu können.
T: Doch, doch, ich versteh schon, aber wir können unmöglich …
HH: Ich muss meine Sachen, an denen ich arbeite, per E-Mail verschicken, da ist das Internet immer ganz hilfreich. Und wenn ich das nicht mache, verdiene ich kein Geld. Wenn ich kein Geld verdiene, kann ich meine Telefonrechnung nicht bezahlen, und wenn ich meine Telefonrechnung nicht mehr bezahlen kann, hat Ihr Arbeitgeber noch weniger Kunden als ohnehin schon, der spart dann bei den Personalkosten ein, zum Beispiel im Callcenter, und raten Sie mal, wer dann irgendwann arbeitslos wird. Hm? HM?
T: Ähm - morgen früh kommt dann gleich jemand und kümmert sich um die Leitung.
HH: Ah. Geht doch.

---

Drei Stunden später:

HH: Ich wollte den Auftrag stornieren. Ich hab wieder DSL.
T: Ah, ja, der Kollege hat auch ein Linereset gemacht.
HH: Achwas! Hat er doch?
T: Steht hier.
HH: Am Telefon hat er sich geweigert.
T: Nee, steht hier.
HH: Prima. Da bin ich ja dann zufrieden. Dann braucht ja morgen keiner zu kommen.
T: Klar, ich nehm's raus.

---

Drei Tage später, sieben Uhr morgens, Telefon klingelt:

M: Tach, Maischein mein Name, Mai wie der Mai und Schein wie der Schein, Sie wissen schon, ick ruf an wejen dem Anschluss.
HH: Äääh, Anschluss ist super, und ich schlaf noch. Danke.
M: Na wir hatten dochn Termin!
HH: Wir hatten was?
M: N Termin, zwischen sieben und zehn!
HH: Mit mir hatten Sie ganz sicher keinen Termin um die Zeit, ich hab NIE Termine um die Zeit.
M: Doch, ick hab ma jeschaut wegen dieser Leitung, und nu weeß ick ooch, wieso dit immer ausfällt.
HH: Ach?
M: (erklärt halbe Stunde vor sich hin) .... und ick mach dit mal jetz.
HH: Super. Muss ich da jetzt auch irgendwas machen, Sachen anschalten oder abschalten...?
M: Nee, Sie kriejen dit jar nich mit, dat ick wat mache. Ick stör Ihnen ooch nich mehr.

---

Eine Stunde Später:

M: Ja, Maischein noch mal, ick wollt nur sagen, ick mach jetzt mal son Umstecken von der Leitung, da könn Se ne halbe Stunde nich telefonieren, wär dit ok?
HH: Mit wem soll ich morgens um acht telefonieren außer mit Ihnen?
M: Na ick mein ja nur. Also dann, halbe Stunde, jeht klar?
HH: Auf jeden Fall. Und Ihnen noch einen schönen Tag.

---

Halbe Stunde später:

M: Ick bins, Maischein. Jeht's wieder?
HH: Na wir reden doch gerade.
M: Nee, dit Internet.
HH: Das schläft noch.
M: Na nu schaun Se mal.
...
HH: Ja, geht. Danke.
M: Ick hab da nämlich mal ... (erklärt halbe Stunde).
HH: Prima. Dann ist ja jetzt gut.
M: Ja, ick leg dann mal auf!
HH: Und Sie rufen auch nicht mehr an?
M: Ick kann auch noch mal anrufen, wenn Se dit wolln?

Dienstag, Dezember 11, 2007

Heute machen wir Aktenordner

P: Was machst Du denn mit Deinen ganzen Unterlagen? Wo sind die überhaupt.

H: Ich geb doch immer alles meiner Steuerberaterin, die lagert das ein.

P: Und wenn Du mal was brauchst, zum Beispiel… irgendwas von vor drei Jahren oder so?

H: Wie meinst Du das, wozu soll ich das brauchen?

P: Naja, was ist denn mit so Sachen wie Mietvertrag oder Versicherungsscheinen?

H: Schau mal, mein Schreibtisch, der hat ganz viele Schubladen, die sind fast wie Ordner.

P: Das gehört alles in Ordner, und die Ordner gehören da auf das Regal.

H: Mein Bücherregal ist ein Bücherregal, da kommen keine Ordner rauf.

P: Wie bist Du eigentlich durchs Studium gekommen? Hattest Du da auch keine Ordner?

H: Na, warum hab ich wohl nicht Jura studiert? Richtig, weil ich keine Ordner anlegen kann.

P: Da drüben an die Wand könnte man doch noch einen Schrank für Akten…

H: Das Klavier bleibt stehen wo es ist!

P: Wir kaufen jetzt Ordner.

H: Ich habe Ordner! Da! Da liegen doch welche!

P: Die sind ja leer! Ich dachte, da ist schon was drin!

H: Was soll denn da drin sein?

P: Unterlagen?

H: WAS für Unterlagen?

P: Ich fang jetzt mal an aufzuräumen. Dann finden wir bestimmt ein paar Unterlagen, die wir in die Ordner tun können.

H: Nein! Nicht meine Noten wegwerfen!

Parallelwelten (Eltern)

Es gibt gute Gründe, seine Eltern nicht in die eigene Wohnung zu lassen. Eltern haben häufig ein anderes Verständnis von Ordnung und Lebensart als man selbst, und vor allem werden Eltern sofort wieder ganz schrecklich zu Eltern, wenn sie erstmal in der Nähe ihrer Kinder egal welchen Alters sind.
Nach drei Jahren ist nun aber Papa zum ersten Mal in meiner Wohnung, und es passiert alles, was zu befürchten war. Er organisiert die Küche um und verkabelt die elektrischen Geräte neu. Er inspiziert Handtücher und Spülschwämme und macht gleich mal Listen, was ich alles neu brauche. Er sucht beim Essen sogar, ohne mit der Wimper zu zucken, nach dem Serviettenhalter („WAS suchst Du???“ – „Wie, Du hast KEINEN?“). Erst als ich mich im Schlafzimmer auf den Boden werfe und „Stop! Die Putzfrau war erst GESTERN hier!“ schreie, macht er den Staubsauger aus und stellt ihn wieder weg. Es folgen diverse Verbesserungsvorschläge, was die Garderobe angeht, unverständliche Fragen zur Bauweise des Hauses und eine umfassende Inspektion und Neuordnung der Lebensmittelvorräte.
Irgendwann entdeckt er den Schuhkarton, in dem ich die Steuerunterlagen sammle. Natürlich rupft er ihn auf und ordnet alles. Danach entdeckt er die vielen ungeöffneten Briefe, die hier so herumliegen, und weil er nicht glaubt, dass ich weiß, was drinsteht und es keinen Handlungsbedarf gibt, öffnet er sie alle und liest sie. Natürlich gibt es Handlungsbedarf, der besteht im Abheften, nur, dass ich keine Ordner habe. Es folgt eine neuerliche Aufzählung an praktischen Haushaltsdingen (sans Serviettenhalter), und ich sehe mich schon mit ihm im Obi-Markt flanieren. Dass der VG-Wort-Scheck unbedacht auf dem Klavier liegt, erschüttert ihn, den Ex-Banker, bis ins Mark, schließlich könne er doch so im Müll landen. Meine Frage, wer den Scheck denn wohl in den Müll werfen würde, weil er nicht weiß, dass es ein Scheck ist, beantwortet er mit einem würdevollen Schweigen.
Ich vermute, ihm ist langweilig. Also denke ich über Beschäftigungstherapien nach. Schicke ihn zum Einkaufen (zu Fuß) und ködere ihn schließlich mit ein paar DVD-Dokumentationen über das Nachkriegsdeutschland. Das ist in etwa so, wie wenn man seine gerade Schulpflichtigen für drei Stunden vor Spongebob setzt: Ruhe kehrt ein. Naja nicht ganz: Das Sofa ist ihm zu niedrig, ich soll es bitte zum Sperrmüll geben und mir ein neues kaufen, da gibt es ganz tolle von Benz, nur so zum Beispiel. Ikea, sage ich und denke ernsthaft über die Existenz von Parallelwelten nach und wie es sein kann, dass manche Kinder so aus der Umlaufbahn geraten, dass sie gleich das Sonnensystem wechseln.
Berlin behandelt er wie die Kleinstadt, in der er lebt und die eigentlich ein Dorf ist: Er will irgendwann diese Woche noch „in die Stadt“ fahren. Ich lasse eine Stunde später beiläufig den Reiseführer mit Karte auf dem Wohnzimmertisch liegen, so als hätte er noch nie woanders gelegen. Als er die Berlin-Meldungen im Radio hört, ist es, als sei all das direkt vor meiner Haustür geschehen. Das Busunglück war nicht in Tegel, sondern gefühlt in der Clayallee, und das getötete Kleinkind liegt nicht mehr im Straßengraben von Moabit, sondern vor Vaters geistigem Auge in einem der Parks der FU.
Nun ist also passiert, was ich sonst im Jahreskreislauf zu vermeiden weiß, unter anderem durch die Aussparung von Weihnachten in der sogenannten Heimat (=mittelhessisches Sperrgebiet): Ich bin wieder ganz Kind. Wenn man behandelt wird wie sechzehn, dann benimmt man sich meistens auch so. Geht irgendwann mürrisch in sein Zimmer, hört laute Musik und lässt überall seinen Müll rumliegen.
Dafür habe ich jetzt, nach nur einem Tag, die sauberste Wohnung in ganz Dahlem. Auch die ordentlichste und aufgeräumteste. Mein Klospülkasten ist repariert, meine Stereoanlage läuft wieder, und meine Mäntel hingen nie schöner in Reih und Glied. Ich bestelle heimlich im Internet ein paar von den Sachen, die er als unverzichtbar aufgezählt hat (immer noch sans Serviettenhalter, der ist nach wie vor verzichtbar). Und dann verstehe ich: Es geht gar nicht darum, dass ich in manchem nachgegeben hätte oder mich seinem Willen beugen würde. Sondern einfach nur darum, dass er auch manchmal Recht hat. Nicht immer, weil er aus einem anderen Universum stammt, aber manchmal gelten die gleichen Naturgesetze, und dann hat er Recht.
Es ist gar nicht so leicht, das mit dem Erwachsenwerden.

Samstag, Dezember 08, 2007

Post (Edinburgh)

Autogramme finde ich ganz besonders überflüssig. Ich habe mir noch nie ein Autogramm geben lassen. Der einzige Sinn eines Autogramms ist doch der, dass man jedem erzählen kann: Da, schau, hab ich getroffen, ganz persönlich!

Jaja, für fünfeinhalb Sekunden, nach einer Stunde Schlangestehen. Zusammen mit den anderen hundert Leuten.

Heute Morgen kam ein Päckchen: Der neue Rankin, ohne Lieferschein, ohne sonstwas. Kenn ich doch schon, denke ich, fange trotzdem an, darin zu blättern, und sehe: Ein Autogramm. Mit Widmung. Und einem Smiley. Ohne Schlangestehen, aber auch ohne ihn getroffen zu haben. Was jetzt? Ich bin entzückt und rufe erstmal fünf Freundinnen an. Stelle das Buch ganz vorsichtig in den Bücherschrank zu den anderen. Nehme es wieder weg und lege es auf mein Stehpult. Nehme es wieder weg und lege es auf den Wohnzimmertisch, damit jeder, der mich besucht, es sofort sieht und in die Hand nimmt und aufschlägt und… Nehme es wieder weg und lege es auf den Nachttisch, griffbereit. Nehme es wieder weg, lege mich auf die andere Seite und lese es zum zweiten Mal.

(Neiiiin, ich rauche nicht, das ist ein ALTES Foto.)



Singlemarkt des Jahres

Unser Tengelmann unten in Zehlendorf Mitte ist Supermarkt des Jahres 2007, aber das hab ich irgendwie heute erst gemerkt. Ich habe keine Ahnung, wie man Supermarkt des Jahres wird. Vermutlich aber so, wie man Hotel des Jahres oder Weinstube des Jahres oder Vietnamese des Jahres wird: Umbauen, Party für die Juroren schmeißen, Titel einstecken.
Letztes Jahr hat der Tengelmann umgebaut. Das führte einige Wochen zu kompletter Verwirrung unter den Einkaufenden. Sie haben den Laden nämlich hinterher spiegelverkehrt eingerichtet. Heerscharen von Kunden mühten sich verzweifelt und fruchtlos, durch den Ausgang in den Laden zu gelangen. Hatte man es irgendwann durch die neue Marktöffnung hineingeschafft, nahm das Elend seinen Lauf: Lange Einkaufswagenschlangen stauten sich vor den Marktmitarbeitern, die nicht dazu kamen, die schicken neuen Regale aufzufüllen, weil sie ständig den Kunden erklären mussten, wo die Sachen neuerdings eingeräumt waren. „Aber der Reis stand doch früher IMMER …“ war kein gültiges Argument mehr.
Mittlerweile hat sich die Lage beruhigt, die Zehlendorfer haben sich an das spiegelverkehrte Einkaufswunder 2007 gewöhnt. Er ist zu einer Art Singletreff und Flirtoase mutiert, seit der Laden auch bis 22 Uhr offen hat („Müssen Sie auch immer so lange im Büro schuften?“) und die DSL-Packstation („Ach, erklären Sie mir doch mal, wie das geht!“) davor thront. Praktischerweise wurden auch noch kleine Feinschmeckimbisse im zur Straße gehenden Gebäudeteil eingerichtet. Die Pärchenbildung ist auffallend, der Anteil an Alleinstehenden, die wie zufällig nach einem laaangen Einkauf noch laaange an den Feinschmeckbuden herumhängen auch. Geht man alleine in den Markt, wird man beäugt wie nur früher beim Tanztee, und ich erinnere mich mit einem unguten Ziehen in der Magengrube an das Singleshopping damals in München beim WalMart, jeden Freitag zwischen 19 und 20 Uhr, da durfte man auf gar keinen Fall einkaufen gehen. Das also hat unser Tengelmann nun täglich außer Sonntag rund um die Öffnungszeit. Ich warte darauf, dass sie entsprechende Aushänge am Schwarzen Brett machen: Statt „Ältere Dame sucht Bridgepartnerin“ schnöde Kontaktanzeigen. Der Supermarkt des Jahres löst parship.de ab, nachdem die Internetsinglebörsen das Herumhängen ins Bars und Clubs abgelöst haben. Jedenfalls in Zehlendorf Mitte.
Noch drei Wochen ist unser Tengelmann Supermarkt des Jahres, und danach will ich unbedingt wissen, wie und wo es weitergeht und ob der neue Supermarkt des Jahres auch solche einschneidenden Konsequenzen für seinen Kiez hat.

Donnerstag, Dezember 06, 2007

Wunder der Technik

Seit etwas über einer Woche hab ich einen neuen Rechner mit einem neuen Betriebssystem und dem neuen Word. Und seit einer Woche suche ich verwirrt nach grundlegenden Funktionen wie "speichern unter", ohne sie zu finden. Bei "Hilfe" will ich nicht nachsehen, das ist so eine ganz männliche Eigenschaft von mir, das will ich selbst rausfinden. Und HEUTE (!) merke ich, dass dieses komische runde Zeichen oben links nicht etwa lustige Deko ist, sondern anklickbar. Dahinter verbergen sich dann im Dialogfeld alle Funktionen, von denen ich schon dachte, sie seien wegen Banalität abgeschafft worden. Jetzt schäme ich mich ein bisschen.

Westberliner Befindlichkeiten: Wie man die Konservativen dazu bringt, Emma-Abonnenten zu werden

Alice Schwarzer ist im Moment das Flaggschiff der CDU in Charlottenburg-Wilmersdorf. Frau Schwarzer hat kürzlich die rot-grünen Prostitutionsgesetze kritisiert, weshalb eine Bibliothek in Charlottenburg nun nicht mehr nach ihr benannt werden soll, sagt die SPD. Woraufhin die CDU sich gleich auf die Seite der Frauenrechtlerin stellt und der SPD Intoleranz vorwirft. Ach, Politik kann so schön sein. Ich stelle mir gerade die Charlottenburg-Wilmersdorfer CDU-Abgeordneten vor, wie sie beim Christopher Street Day in Engelskostümchen mithoppsen, nur ums der SPD zu zeigen, ha!

Montag, Dezember 03, 2007

Hilfreiches

„Schreib doch mal sowas wie Harry Potter.“

„Du musst einfach zu dem Kerner in die Talkshow.“

„Lass doch Deine Bücher verfilmen! Am besten mit dem Brad Pitt oder so einem.“

„Der Spiegel muss einfach mal Dein Foto auf die Titelseite machen.“

„Frag doch den Reich-Ranicki, ob der was über Dich schreibt.“

„Schick einfach der Heidenreich Dein Buch, damit die das vorstellt.“

„Lass die von der Gala ne Homestory bei Dir machen, dann wird das schon.“

„Du musst Deinem Verlag sagen, dass die so Plakatwände mit Werbung für Deine Bücher machen!“

„Im Fernsehen da auf Vox und so gibt’s immer Buchtipps, wär das nix?“

„Wenn Du erstmal in der Spiegelbestsellerliste bist, dann läuft das auch!“

„Schreib halt keine Krimis, sondern sowas wie die Pilcher, das lesen Frauen viel lieber.“

"Get me new faces..."

Dramatis personae:

HH

Befreundeter Musiker M

HH: Oh, a new album! Do send me a copy! Or no, wait, I can ask Claire.
M: Claire?
HH: You remember Claire. The blonde. Very beautiful.
M: Aaaaaah, she’s weird, isn’t she?
HH: Erm, weird? I don’t …
M: The weirdo! Claire! I remember now! She keeps following us aro
und. Wherever we play, she’s there. She even stays in the same hotels. Between us – I think she’s a stalker!
HH: Darling, she’s your tour manager’s assistant.
M: Oh – Claire! Right …

Sonntag, Dezember 02, 2007

Not Ian, not now

Im Moment fällt ja erstmal alles aus, zum Beispiel mein Erscheinen auf br-alpha (dabei hatte ich mir extra eine schwarze Hose…). Oder das Abendessen mit Ian Rankin (dabei hatte ich mir extra einen neuen Rock…), und bei Rufus Wainwright war ich auch nicht (dafür hatte ich mir nichts extra gekauft, konnte trotzdem nicht).
Wohl zum ersten Mal seit langem habe ich Zeit, in die ganzen ungelesenen Bücher, die hier gestapelt herumstehen, reinzulesen. Ich hab schon angefangen: Veronica Stallwood zum Beispiel ist un-les-bar, und von Oxford bekommt man nichts mit. Martin Edwards walzt eine Kurzgeschichtenidee auf Romanlänge aus, und danach möchte man nicht mehr an den Lake District fahren aus Angst, man langweilt sich zu Tode. Der neue Nesser hingegen ist ganz unterhaltsam, auch wenn ich weiß, dass viele ihn irritiert hassen werden. Mit Elizabeth George hab ich im Grunde schon vor fünf Büchern abgeschlossen, will es aber offenbar nicht wahrhaben und versuche es immer wieder, nur um zu sehen, dass das Thema für mich doch durch ist. Ein bisschen wie mit einem abgelegten Liebhaber. John Irving ist bis jetzt schön unterhaltsam, und Ian Rankins „Exit Music“ hab ich auch schon durch, da bin ich parteiisch, da sag ich eh immer nur, dass es genial ist. Mal sehen, was als nächstes drankommt.
Vielleicht sollte ich mich mal an die Überarbeitung von meinem MS machen. Einen Schauplatz werde ich wohl umschreiben müssen. Mr Rankin war schneller. Gemeinheit. So gesehen ganz gut, dass wir nicht zusammen essen gehen. Ich wäre nicht besonders freundlich zu ihm gewesen.

Adventliches

Der Autor, heißt es, langweilt sich nie, denn er kann alles, was er erlebt, in irgendeiner Form in seinen Geschichten verarbeiten. Man lernt immer etwas dazu, heißt es, und kann alles wunderbar abstrahieren und verallgemeinern. Gelernt habe ich in den letzten Tagen:
• Man muss deutlich mehr als ein bis zwei Liter Blut verlieren, bevor man ohnmächtig wird. Vorher hat man immer noch ausreichend Energien, Ärzte zu beleidigen und Krankenschwestern anzukeifen. (Dit is die Panik, sagt der Oberarzt. Sie dürfen mich ruhig hassen, ick wees, dit tut dolle weh.)
• Wenn man will, dass im Notfall ein echter Arzt zu einem nach Hause kommt, darf man nicht 112 wählen, oder man muss denen am anderen Ende der Leitung klar machen, dass man einen echten Arzt braucht. Ansonsten kommen zwar sehr nette und gut gelaunte, aber medizinisch nur grundlegend ausgebildete junge Herren, die schon mal etwas überfordert wirken können.
• Das Krankenkassenkärtchen ist wichtig, auch und besonders, wenn es sehr schlimm um einen steht. Vermutlich ist es das erste, was Rettungssanitäter lernen: Immer nach der Karte fragen, auch wenn der Patient knietif in seinem eigenen Blut watet.
• An Blaulichtfahrten kann man sich nur ganz schwer erinnern. Zeitabläufe werden dann extrem relativ. Hinterher gibt es aber immer eine sehr hilfreiche entfernte Nachbarschaft, die zwar nicht weiß, worum es ging, aber alles im Detail berichten kann. Dabei erzählt jeder etwas anderes.
• Der Hinweis „Ich blute überall hin“ ist unpräzise, wird gerne missverstanden und sowohl im Rettungswagen als auch im Krankenhaus mit einem „Das macht nichts, das können wir wegwischen“ gewürdigt. Offenbar ist es für Menschen, die gerade kein Blut verlieren, zweitrangig, dass derjenige, der es verliert, gerne noch ein paar Tropfen im eigenen Körper behalten würde. Dafür scheint aber ganz klar, dass der Verblutende sich selbstverständlich um die Einrichtung sorgt.
• Irgendwann allerdings, wenn der erste Schock vorbei ist und man das Gefühl hat, medizinische Kompetenz ist auf dem Weg, denkt man tatsächlich über Schadensbegrenzung nach und sagt Dinge zur Krankenschwester wie: „Der Pullover ist neu, passen Sie auf, wenn Sie ihn mir für lebensrettende Maßnahmen vom Leib zerren.“ Oder: „Der Rock kann nur in die Chemische, versuchen Sie mal, dass da nicht zuviel Blut rankommt.“ (Dit nennt sich Übersprungshandlung, sagt der Oberarzt.)
• Scham ist ein seltsames Gefühl. In Momenten höchster Not verschwindet sie weitestgehend, kehrt aber einige Tage später umso gewaltiger zurück. Man wälzt sich dann mit einem gequälten Stöhnen im Bett, die Schwester sorgt sich, ob man Schmerzen habe, doch in Wahrheit denkt man zurück und schämt sich entsetzlich, entgegen aller Vorgaben des Verstandes. Kaum hat man überlebt, stehen antrainierte Verhaltensmuster wieder ganz oben.
• Ärzte schätzen es nicht, wenn man sie mehrfach fragt, ob sie wissen, was sie da tun, ob sie das vorher schon mal getan haben, und ob sie nachts um eins wirklich noch wach genug und in der Lage sind, zu operieren.
• Liegt man zufällig aus Platzmangelgründen in einem Privatpatientenzimmer, wundert man sich schnell, wie schön es in so einem Krankenhaus sein kann. Man bekommt sogar einen Speiseplan und darf Sachen ankreuzen.
• Wenn man in einem Krankenhaus der Siebenten-Tags-Adventisten gelandet ist und die Schwestern erstmal verstanden haben, dass man nicht Heilmann, sondern Heiland heißt, schlägt die Begeisterung hohe Wellen.
Ich bin gespannt auf meinen nächsten Roman, ganz ehrlich.