Donnerstag, August 30, 2007

Out now

Mittwoch, August 29, 2007

Trümmerfrauen

Am Set.

Dramatis Personae:
Set-Aufnahmeleiterin
Regisseur
HH


(Foto (c) Henrik Jordan)

Regie: "Was macht denn der Hocker da?!"
Set-AL: "Ich leg die Füße hoch."
Regie: "Beim Dreh? Ich glaub’s nicht!"
Set-AL: "Ich predige es seit Wochen! Frauen sollten mindestens drei Mal am Tag für ein paar Minuten die Füße hochlegen. Das ist gut für die Durchblutung und verhindert Krampfadern. Deshalb der Hocker."
HH: "Könnt ich auch mal so nen Hocker… Danke."
Regie: "Du jetzt auch noch?! Das heißt, demnächst hab ich hier überall Frauen rumliegen, die die Beine hochstrecken? Soll ich Euch vielleicht noch nen Cocktail bringen?"
Set-AL: "Du bist ein Mann. Du hast keine Ahnung."
Regie: "Ihr seid total verweichlicht! Denkt an die Trümmerfrauen! Wenn die drei Mal am Tag die Beine hochgelegt hätten…"
HH: "Hatten die Krampfadern? Na? Na??? Denk mal an die Oma!"
Pause.
Regie: "Können Männer eigentlich auch…?"
HH: "Oh. Ja."
Pause.
Regie: "Kann mir mal einer nen Hocker bringen?!"

Sonntag, August 26, 2007

„Why Don't You Run Upstairs and Write a Nice Gershwin Tune?“

Meine erste eigene Schallplatte bekam ich, da war ich noch ganz winzig, nämlich neun Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt malträtierte ich seit gut fünf Jahren das Klavier, das eigentlich angeschafft worden war, um die Weihnachtsabende heimeliger zu gestalten. Damit, dass ich meine Eltern mit Bachkonzerten in den Wahnsinn treiben würde, statt mit „O Du Fröhliche“ glücklich zu machen, hatte keiner gerechnet, und die Aufforderungen bei Familienfeiern, ich sollte doch mal was Schönes (Betonung auf: Schönes) spielen, ließen mit den Jahren nach, da niemand sonderlich viel mit Prokofjew oder Barber anfangen konnte. Chopin und Liszt wurden mit äußerster Verstörung aufgenommen, und Ravel sprengte im Allgemeinen die Aufnahmekapazitäten nach dem dritten Takt. Saint-Saëns durfte ich nur noch bei geschlossenen Fenstern spielen. Einzig Beethoven und Haydn fanden halbwegs Gnade.
Zu meinem neunten Geburtstag also hatte ich mir die „Rhapsody in Blue“ auf Schallplatte gewünscht, da ich sie noch nicht selbst spielen konnte. Mein Vater überreichte sie mir mit spitzen Fingern, und ihm war anzusehen, dass er sich eine mentale Notiz gemacht hatte: Gershwin = kompletter Unfug. Trotzdem hatte er, wie durch ein Wunder, die einzig wahre, einzig richtige, einzig einzige Aufnahme erstanden: Leonard Bernstein dirigierte und spielte Klavier. Keine Platte habe ich seither so oft gehört wie diese, und Bernstein wurde zum unerreichten Held meiner Klaviertage, so unerreicht, dass ich mich nie an die „Rhapsody in Blue“ heranwagte. Gershwin selbst hatte seine eigene Komposition nicht so genial spielen können, jedenfalls habe ich von ihm nur sehr schräge Aufnahmen, bei denen er sich dauernd verspielt. Herrlich, aber auf eine andere Weise.
Leonard Bernstein hingegen hatte Gershwin zum Vorbild, nicht, was die Klaviertechnik anging (zum Glück), sondern was seinen kompositorischen Erfolg betraf. Er schrieb in den fünfziger Jahren ein Essay mit dem wunderbaren Titel „Why Don't You Run Upstairs and Write a Nice Gershwin Tune“, in dem er sich unter anderem mit „Porgy and Bess“ auseinandersetzt und darüber jammert, dass er gerne auf der Straße Leute treffen würde, die seine Melodien vor sich hinpfeifen. Einmal vorgenommen, erreichte er genau dies kurz darauf mit der „West Side Story“. Und doch spielte er nie Gershwins Klavierkonzert in F oder dirigierte „Porgy and Bess“. Ich weiß es nicht genau, aber vielleicht war seine Hochachtung vor Gershwin doch zu groß, vielleicht scheiterte er an dem eigenen Anspruch, genialer als genial sein zu wollen.
Hätte ich das zwanzig Jahre oder so früher gewusst, hätte er mir nicht die „Rhapsody in Blue“ versaut, rede ich mir ein. Es ist immer ganz gut, wenn der Sockel, auf dem ein Idol steht, hin und wieder mal wackelt.

(Foto (c) Victoria Tomaschko)

Samstag, August 25, 2007

Rumänische Gastfreundschaft

Nachmittag in München. Sitze mit C im Lokal beim zweiten Mittagessen oder dritten Frühstück, je nachdem. Fühle mich entsetzlich voll und will nie wieder etwas essen. C schlägt vor, ins Restaurant ihres Bruders zu wechseln und dort noch eine Cola zu trinken.
Im Restaurant des Bruders sind auch Cs Eltern. Werde gezwungen, etwas zu essen, weil Mama heute kocht. Bestelle winzige Mädchenportion Spaghetti und erhalte doppelte Männerportion. „Das Kind muss essen", sagt die Mama und bleibt neben dem Teller stehen, bis die Hälfte gegessen ist. Danach übernimmt der Bruder die Esswache, bis der Teller leer ist. Fühle mich entsetzlich gemästet.
Der Papa kommt und will wissen, was ich so mache. Kann nicht mehr reden, weshalb C erklärt, dass ich gerade ein Buch schreibe, in dem es unter anderem um moldawischen Menschenhändler geht. Halbstündiger Vortrag über die Geschichte Moldawiens folgt. Ein paar rumänische Vokabeln übersetzt C.
Mama legt mit Kuchen nach, den niemand bestellt hat, und bleibt so lange stehen, bis wenigstens die Hälfte aufgegessen ist. Papa beendet den Vortrag über Moldawien und behauptet, niemand interessiert sich für Moldawien oder Rumänien, ich soll das mit dem Buch lieber lassen. C erklärt, dass ich einen Krimi schreibe, und Papa behauptet, dass kein Mensch Krimis lesen will. Als ich ihm verrate, dass es ziemlich viele Krimis in Buch und Film gibt, beschwert er sich über das zu große Interesse an Krimis und besteht darauf, dass historische Sachbücher das einzig Lesenswerte sind. Kann mich mittlerweile nicht mehr bewegen wegen Kuchen. C erklärt, dass ich im letzten Krimi durchaus historische Aspekte habe, die auf Tatsachen wie Vertreibung der Deutschen aus dem Osten zurückgehen. Vortrag über europäische Staatenbildung seit dem römischen Reich folgt, zum Teil auf Rumänisch, und endet in Streitgespräch über Einzelaspekte der Weimarer Republik.
Mama legt Tiramisu nach, die größte Portion seit der Erfindung dieses Zeugs. Mit extra Sahne und Schokosoße. Bleibt stehen, bis mindestens die Hälfte aufgegessen ist. Bruder kommt dazu und fragt, ob man vom Schreiben leben kann.
Kann mich weder bewegen, noch reden, noch denken, weil alles zu Verfügung stehende Blut mit Verdauung beschäftigt ist. C erklärt das ein oder andere über das Geldverdienen. Ein Vortrag von Papa über die Geschichte des Kommunismus folgt, diesmal auf Rumänisch. Verstehe seltsamerweise jedes Wort. Bruder will jetzt signierte Exemplare von allen meinen Büchern haben. Sein Kellner auch.
Kriechen um 22 Uhr auf allen vieren zum Ausgang. C raucht eine Verdauungszigarette und ich erzähle die Geschichte von der Möwe im Hafen von Crail, die einen riesigen Fisch unzerkleinert verschlungen hat und danach nicht mehr fliegen konnte, bis sie ihn wieder ausgekotzt hat. Wir denken kurz darüber nach, rollen dann aber unverrichteter Dinge weiter zum Auto.

Donnerstag, August 16, 2007

Oiso, dahoam, des is fei subba!

Dramatis Personae:
HH
Münchner Ex-Nachbarin (68)

Aaaaah, Balin! Grüß Sie Gott, Frau Heiland!"
„Ja, äh, Tach, Frau äh…"
„Gfallt's Eana in dem Balin?"
„Ja, doch, sehr schön…"
„Oiso i würd jo im Lebn ned nach Balin woin, mir ham's hia doch so schee in Minga! Oiso i, i wohn jo scho seit, do war der Bua no ganz kloa un heit, do is der sechsavierzig, do san mir vom Ammersee hierherzogen, mei, der Ammersee, heier kannt ma sich des nimmer leisten, wie is des eigentlich so in Balin, do is doch bstimmt ois so schrecklich deier, in dem Balin, do würd i jo im Lebn net hi woin."
„Eigentlich ist es da viel billiger als…"
„Mei, Minga, des is fei scho net so billig, aba mir homs so schee hia, im Lebn würd i net no Balin, i woaß scho, des is gnau richtig, in Minga, schauns, hia im Haus, wissens, do hob i mei Wohnung, un do schau i imma ausm Fensta naus, do seh i wos die Leit macha, do is a Lebn, vastehns, un mei Freindin, wissens, die is heier scho finfasiebzig, und die woit do in so a Haus ziang, ba-rrierrre-frrei hoaßt des, aba i denk mia, des is nix fia mi, i brauch des Lebn vor da Haustür, des wär mir nix, do draußn in dem ba-rrierrre-frrein Zeigs, naaa, im Lebn net, obwoi, wenn i oida bin, scho, oiso, i woit net umziang. Oda die Frau Meier, die wohnt in so a Villa am Stadtrand, ruhig und fein hats es do, na, im Lebn net. Wo wohna Sie do in dem Balin?"
„Äh, so ne Villa am Stadtrand, eigentlich…"
„Na, im Lebn net, i brauch des mit dene Leit voam Fensta, oiso, net, dass i da spioniern dät, des geht mi nix oh mit dene Leit, is jo nur dass ma woas, dass do a Lebn is, gei, i spionier jo net, wissens."
„Klar, also…"
„Aba gestan, do warns no net do, do hat dera Herr, wissens, der wo üba Eana wohnt, der mit dene schrrreckliche Audos, homs dem sei Neies scho gsehn? Des do! Fuachtbar!"
„Ah?"
„Mei, und der, geht der do nei, moanans, der butzt si de Schua? Na! Der do net, der is do was bessars, der braucht des net, un do is der mit dem Drrrreck ins Haus, i sogs Eana…"
„Ah."
„Un mei Bua, der is jo fei net do im Moment, der is im Ualaub, do konn i nix sogn zu dem Herrn do, wissens, un dann no dem sei Frau, des is Oane, i sogs Eana, die hot imma so an Dings oh, wissens…"
„Nein?"
„Na, unta dera Jeans!"
„Unterhose?"
„Na, so a hoibe!"
„Halbe? Äh, Stringtanga?"
„Genau! Dos die si net schamt!"
„Woher wissen Sie das denn?"
„Oiso, die hängt ihra Wäschn imma aufn Balkon, do seh i des scho!"
„Ach!"
„I sogs Eana! Aba im Lebn würd i net umziang! I brauch des, so imma ausm Fensta, do seh i wos bassiert, oiso, net dass i spioniern dät, gei…"




(Foto (c) Victoria Tomaschko)

Freitag, August 10, 2007

Der Traum vom Untergang

Vineta, heißt es, war so ungefähr bis zum Hochmittelalter, bis zur nicht sehr sanft verlaufenden Christianisierung Pommerns, die Handelsmetropole der Ostsee. Die größte Stadt Europas, auch die multikulturellste. Jeder, einfach jeder, der etwas auf sich hielt, lebte dort. Kein Wunder, die Torbögen waren aus purem Gold, die Kirchenglocken aus reinem Silber, und die Straßen vermutlich aus Bernstein, so in etwa muss man sich das vorstellen, und alle Bewohner – wovon es viele gab, hunderttausende gar – besaßen solche Reichtümer, dass sie gar nicht mehr wussten, wohin mit dem Zeug. Daher, heißt es, wurden sie alle entsetzlich hochmütig und eingebildet und, ja, gottlos (man bedenke: Christianisierung etc.), und achteten nicht auf die (gar nicht christlichen, sondern eher heidnischen) Zeichen: Lichter über der Stadt, die die Ältesten als Warnung vor dem nahenden Untergang deuteten, eine hübsche Meerjungfrau, die etwas schrill vor der Küste den Abstieg besang. Keiner wollte weg, klar, das ganze Gold und Silber und so, also wurden sämtliche Bewohner und damit Vinetazeugen wenige Tage später von der hereinbrechenden Flut weggespült. Das war’s dann.



Jahrhundertelang sprach erstmal niemand mehr von Vineta, bis etwa in der Frühen Neuzeit ein wahrer Vinetakult einsetzte. Bis heute versucht man, die angeblich versunkene Stadt zu lokalisieren, ähnlich wie Atlantis, nur dass das in Frage kommende Gebiet deutlich kleiner ist. Verschiedene Orte beanspruchen aus touristischen Gründen die Nachbarschaft zu Vineta, darunter Wollin (das ist die andere Insel gleich neben Usedom in Polen) und Koserow (das liegt auf Usedom). Am Strand von Koserow, heißt es, hört man bei Windstille den Klang der silbernen Glocken aus dem Meer.
So und so ähnlich heißt es also.
Einerseits ist es der Region im Nordosten zu wünschen, dass man dort wirklich eines Tages Überreste der sagenhaften Stadt findet. Andererseits weiß man nicht so genau, welchem in Frage kommenden Ort man Vineta eigentlich mehr wünschen soll, verdient und nötig hätten sie’s alle. Und dann: Will man es wirklich finden und dadurch den Mythos zerstören? Vielleicht käme heraus, dass das alles gar nicht so stimmt, das mit dem Gold und dem Silber und dem Bernstein? Oder dass Vineta deutlich kleiner war als angenommen? Und wenn einer den Zuschlag bekommt, was ist dann mit den anderen?
Nein, besser ist’s so. Mythen sind schöner. Atlantis, nicht wahr.

Donnerstag, August 09, 2007

Der Kühlschrank

Dramatis Personae:
Vermieterin
HH

HH: „Tja, da muss dann wohl ein neuer Kühlschrank her.“
V: „Aber der war doch noch gut!“
HH: „Ja, aber er ist nun mal bei dem Wasserschaden abgesoffen.“
V: „Versteh ich nicht. Der war noch wie neu.“
HH: „Wenn da nun mal Wasser… und Elektronik…“
V: „Und was machen wir da?“
HH: „Neuen kaufen. Zahlt doch die Versicherung.“
V: „Genau denselben?“
HH: „Nee, den gibt’s nicht mehr. Wir bekommen einen viel schöneren neuen Kühlschrank.“
V: „Aber der war doch noch gut!“
HH: „Schon, nur, es ist doch super, wenn jetzt ein Neuer kommt, oder?“
V: „Und denselben gibt’s nicht mehr?“
HH: „Produktion eingestellt.“
V: „So alt war der doch noch gar nicht. Der war doch vielleicht zehn Jahre oder so.“
HH: „Irgendwann wäre er eh kaputt gegangen, und so zahlt die Versicherung wegen Wasserschaden.“
V: „Zeigen Sie mal die Firma, ich ruf da mal an, vielleicht gibt’s den ja doch noch.“
HH: „Aber…“
V: „Und außerdem, der war doch noch gut, der alte!“

Die Bernsteinhexe von Koserow (Usedom)

Dinge wie The Blairwitch Project sind im Grunde uralte Tricks. Ich weiß, es ist schon wieder zehn Jahre her, aber das meine ich nicht mit uralt. Ich meine: Jemand behauptet, dass das, was er sich selbst ausgedacht hat, authentisch ist. Das haben schon viele vorher gemacht, James Macpherson zum Beispiel, der so gegen Siebzehnhundertirgendwas in Edinburgh Hauslehrer war und von einem Kritiker aufgefordert wurde, alte gälische Gesänge und Gedichte zusammenzusuchen und zu übersetzen. Er wusste nicht, wo er so etwas herbekommen sollte, war wohl auch zu faul zum Suchen, dachte sich selbst ein paar Balladen aus und tat so, als hätte er sie eben mal aus dem Gälischen übersetzt. Das Ganze ging als Ossian in die Literaturgeschichte ein, und ehrlich gesagt wollte trotz kritischer Stimmen keiner so genau wissen, ob die Gedichte nun echt waren oder nicht. Im Handumdrehen wurden die Ossiangesänge zu einem Megaerfolg. Zum Beispiel stießen sie das ganze Sturm und Drang-Getue in Deutschland an. Schön zu wissen, dass eine unserer wichtigsten literarischen Strömungen auf banale Fälschungen zurückgehen.
Usedom hat auch etwas in der Art. Usedom hat die Bernsteinhexe. Die hat nun leider keine wilden Literaturströmungen angestoßen, unterhält aber immer noch ein paar Touristen. Die Bernsteinhexengeschichte ist keine Sage, sondern eigentlich ein Roman von Wilhelm Meinhold, Mitte 19. Jahrhundert. Es geht um die brave Pfarrerstochter Maria Schweidler, die Bernstein verkauft, um ihre Familie zu unterstützen. Bernstein liegt ja an der Küste immer mal so im Sand rum, wie wir wissen. Irgendjemand wollte was von der lieblichen Maria, das reine Wesen sträubte sich, und der miese Kerl rannte gleich los, um sie als Hexe anzuzeigen. Weil, wo kam denn das ganze Geld her, und überhaupt, Frauen. Der Scheiterhaufen wurde schon mal angewärmt, Maria zusammengeschnürt, als der Prinz, äh, Graf von Irgendwas auf seinem Schimmel vorbeigeritten kam, um sie zu retten und, klar, zu ehelichen. (Man konnte damals nicht einfach Frauen retten, ohne sie hinterher zu heiraten.)
Jedenfalls wurde das Manuskript ohne Wissen des Autors gedruckt, und der Verleger tat so, als basiere es auf der Handschrift des armen Koserower Pfarrers, seines Zeichens Vater besagter Maria. Ein Originalbericht aus dem 17. Jahrhundert also. Nachdem sich Meinhold angesichts des Erfolgs in die Brust warf, um zu sagen: Alles meins!, wollte das keiner mehr hören und lieber weiter dran glauben, dass es eine wahre Geschichte war.
Wie gerne wir doch an der Illusion der Wahrheit festhalten.
Und wenn die Bernsteinhexe der Ossian von Koserow ist, dann ist Vineta das Atlantis von Usedom. Aber dazu mehr an anderer Stelle.

Am Ende der Welt

Den netten Gasthof in Kamminke, in dem Erik in „Blutsünde“ zweimal in unterschiedlicher Mission landet, gibt es wirklich. Er heißt „Haffblick“, und die beiden Brüder, die ihn leiten, lassen sich eine Menge einfallen. Malen Bilder, machen eigene Postkarten, solche Sachen. Haben ihren ganz eigenen Stil. Haben deshalb auch ihre ganz eigenen, selbst entworfenen Papierservietten.
„Äh, Sie wissen schon, was da auf Ihren Servietten steht?“, frage ich.
„Ja, wieso?“
„Da steht: Kamminke. Hier geht die Sonne unter.“
„Ja! Toll, was?“
„Aber: Hier geht die Sonne UNTER!“
„Klar! Haben Sie schon mal den Sonnenuntergang gesehen?“
„Schon, nur…“
„Sonnenaufgang kann ja jeder.“
„Oh, OK…“
Darauf gibt es keine Antwort. Da kann man fünf Jahre Literaturstudium und Seminararbeiten zur Sonnensymbolik bei Goethe und sonst wem einfach nur ins Stettiner Haff treten.
„Komm ich auch mal vor in Ihrem Buch?“, fragt der Wirt.
„Als was hätten Sie’s denn gern?“
„Hm. Bösewicht!“ Er strahlt. „Ja, ich wär gerne ein Bösewicht!“ Freut sich, sieht gar nicht nach Bösewicht aus und geht pfeifend zu seinem Computer. Es gibt nämlich Internet in Kamminke, nur nicht für mich. Als ich ihn nach Internet frage, sagt er mir, ich könnte es mit meinem Handy versuchen, oben auf dem Berg. Der Berg ist ein Moränenhügel und geht einem - in bayerischen Dimensionen gedacht - gerade mal bis zur Hüfte.
Das Kamminker Internet funktioniert noch mit Modem, ISDN hat es nicht bis hierhin geschafft, und DSL sowieso nicht. Auf ganz Usedom gibt es nur ein einziges Internetcafé, in Heringsdorf, und selbst das hat kein DSL, weshalb man schon mal drei Stunden buchen muss, um überhaupt mehr als eine Seite laden zu können. Ich entscheide mich an diesem Tag gegen Internet, mal wieder, wie die meisten Tage auf Usedom, und schaue wieder auf meinen Teller.
Der Wirt ist wieder da und zeigt mir seine Postkarten, auf denen manchmal die Sonne untergeht.
Ich denke: Der Fisch ist gut. Wirklich gut.

PS: Hat Erik in diesem Gasthof Sex? Ha!

Dienstag, August 07, 2007

Das Tödliche am (Nicht-)Heiraten

Serienmörderinnen sind prozentual gesehen eher selten. Vielleicht sind sie auch einfach geschickter und entkommen häufiger als die männlichen Kollegen der Enttarnung, wer weiß. Eine recht interessante Karriere, die 1811 mit einer Enthauptung im schönen Nürnberg endete, war die der Anna Margaretha Zwanziger. Dabei wollte sie eigentlich nur heiraten.

Nachdem nämlich ihr Gatte, ein Notar, das gesamte Haushaltsgeld versoffen hatte und schließlich den Tod im Weinfass fand, musste sie sehen, wo sie blieb und beschloss erstmal, als Haushälterin zu arbeiten. Nicht unclever: So lernte sie ihren verhofften Zukünftigen gleich richtig kennen und konnte sich von ihrer besten häuslichen Seite zeigen. Und wenn man schon mal im selben Haus lebte, konnte der Weg ins gemeinsame Ehebett ja nicht mehr so weit sein, oder. Dumm nur, dass der Begehrte schon verheiratet war. Arsen schaffte vorerst Abhilfe. Der Plan ging jedoch nicht auf, Hausherr Nr. 1 schien so froh über die neu erworbene Freiheit, das Leben als Witwer schien dem des Junggesellen verführerisch vergleichbar, so dass Frau Zwanziger dann doch lieber die Koffer packte und es anderweitig probierte. Hausherr Nr. 2 wollte allerdings auch nicht so recht, erdreistete sich sogar, etwas von einer Anderen zu faseln, und da war es wieder, das Arsen. Hätte er doch nur seinen Mund gehalten.

Hausherr 3 stellte sich ebenfalls als eine Niete heraus. Seine Ehefrau verstarb zwar kurz nach Frau Zwanzigers Dienstantritt und hauchte noch auf dem Sterbebett, sie vermute, man habe sie vergiftet, aber noch immer rührte sich kein Verdacht gegen die mordende Haushälterin. Zuneigung zu ihr nach dem Verlust der Gattin rührte sich aber in Hausherr Nr. 3 ebenso wenig.

Anna Margaretha hatte mittlerweile entdeckt, wie spaßig es sein konnte, mit Arsen herumzuspielen, dass sie gleich das ganze Salzfass der Familie damit bestreute. Der Reihe nach wurden alle krank, inklusive Personal, exklusive der Täterin. Erst da kam man ihr auf die Schliche, und aus der Heirat wurde schon wieder nichts.

Ich weiß gar nicht, was spannender ist: Zwanzigers unverwüstlicher Glaube, sich mit Arsen einen Ehemann zu ködern, oder ihr immer sorgloserer Umgang mit dem Zeug.

Und nein, das mit Myra Hindley war was anderes. Die hatte keine Eigeninitiative. Da war wieder der Mann an allem Schuld.