Mittwoch, November 28, 2007

Weihnachtsleuchtendes

Es fängt wieder an, dieses Weihnachten. Es ist ja schon lange kein punktuelles Ereignis mehr, sondern ein schleichender Prozess, der spätestens ab Oktober beginnt. Bis dahin schaffe ich es noch irgendwie, die Schokonikoläuse zu ignorieren, weil ich keine Schokolade esse, aber so ab jetzt, ab Ende November, kann ich nicht mehr. Nachtblind wie ich bin und unfähig, Kontraste zu verarbeiten, macht mich diese Beleuchtung wahnsinnig. Und weil es hier schon so ab kurz nachdem ich aufstehe, also geschätzt vier Uhr, Nacht wird, kann ich dem kaum entkommen. Selbst ich muss irgendwann das Haus verlassen und irgendetwas einkaufen. Es gibt nicht alles online. Beziehungsweise: Manchmal braucht man es einfach schneller, als der Hermesversand liefern kann, und dann muss man selbst.
Heute zum Beispiel, da heißt es, ich soll ins Fernsehen, am besten gleich noch nächste Woche, und bitte ziehen Sie nichts Buntes, Kariertes, Gestreiftes, Weißes oder sonst wie Geartetes an. Also Schwarzerpullischwarzerrock? Nein, Rock, Kleid, schwierig, Sie sitzen, wir machen öfter eine Totale, oder geht der Rock übers Knie, und zwar deutlich?
Selbstverständlich geht kein einziger bis übers Knie, stelle ich fest, es sei denn, ich entscheide mich für gehobene Abendgarderobe, das fände ich selbst für Bayern alpha übertrieben. Und da ich mich irgendwann dummerweise entschieden habe, nicht mehr ausschließlich Schwarz in meinem Schrank zuzulassen, wirkt das Durcheinander auf mich bunt, kariert, gestreift und weiß. Klar, wenn ich suchen würde, ich fände etwas, aber ich komme nicht dazu, darüber nachzudenken, ich sitze schon längst im Auto und parke irgendwo neben dem Ku’damm, völlig überzeugt, dass ich nichts dringender brauche, als eine schwarze Hose.
Ich stelle fest, erstaunt, dass diese Woche die beste Weihnachtseinkaufswoche ist. Der gesamte Ku’damm ertrinkt in Weihnachtsstimmung, aber es sind kaum Menschen unterwegs. Sie warten alle auf den ersten Advent, um dann zu zeigen, was sie in ihrer Nahkampfausbildung gelernt haben.
Diese Woche ist ruhig. Nur wenige betrunkene Schulklassen sind unterwegs. Mir begegnen gar keine Frauenkegelclubs. Und auch die reichen Ehefrauen, die sich zwischen Yves Saint Laurent und Valentino langweilen, sitzen noch zu Hause. Dies ist die Woche, in der alle noch ihren Kampfplan ausarbeiten. Diese Woche ist sicher.
Vor dem BMW-Ausstellungsraum stehen ein paar Männer, und sie haben alle diesen entrückten, entspannten Gesichtsausdruck. Sie wirken glücklich. Frauen sehe ich nicht in ihrer Nähe.
Die Boutiquen sind alle leer, und fünf Verkäufer bemühen sich um mich, ich darf so viel anprobieren und so lange damit im Laden herumgehen, wie ich will, sie bleiben freundlich.
Auf dem Rückweg stehen andere Männer vor BMW und lächeln entspannt die Autos an. Ich muss weder links noch rechts schauen, als ich über die Straße gehe, weil kaum Verkehr ist. Aus dem Strafzettel baue ich einen Papierflieger, werfe ihn in Richtung BMW und wünsche mir heimlich etwas.
Ich muss unbedingt alles in dieser Woche erledigen, solange die anderen noch zu Hause sitzen und Schlachtpläne entwerfen. Wenn sie nicht da sind, diese anderen, haben die Lichterketten wirklich etwas Beruhigendes.

"Spannende Diskussion in Kamminke - Henrike Heiland begeistert bei Krimiabend"

In der November/Dezember-Printausgabe von "Usedom aktuell" schreibt Gabriele Behr:
"Sie ist charmant und selbstbewusst zugleich - Henrike Heiland. Ihr gelingt etwas, womit so viele Künstler ihr leidiges Problem haben: Der letzte Satz der Lesung ist vorgetragen, keine peinliche Stille setzt ein, sondern die Autorin kommt sofort in ein sehr intensives Gespräch mit dem Publikum. [...] Die Autorin stellt in ihren Rückblicken u.a. auch die Kriegsgräberstätte Golm und den verheerenden Luftangriff auf Swindemünde in den Blickpunkt. 'Erstmals wird das Spannungsfeld Golm in Form eines Kriminalromans verarbeitet, ein Wagnis, das sicherlich auch in den nächsten Wochen noch viele kontroverse Diskussionen auslösen wird', ist sich Dr. Nils Köhler [Chef der Jugendbegegnungsstätte Golm] im Gespräch mit 'Usedom aktuell' sicher."

Dienstag, November 27, 2007

Rankin über den Krimi

Aus einem Interview in der Welt mit Ian Rankin:
Zeit: Sie haben früher das schlechte Ansehen kritisiert, das die Kriminalliteratur hat. Hat sich in den zwanzig Jahren Ihres Schreibens etwas verändert?
Ian Rankin: Die Lage entwickelt sich. Man kann heute in der High School literarischen Essays über Crime Fiction schreiben, z.B. über meine Bücher, auch in der Universität wird Kriminalliteratur unterrichtet und Literaturwissenschaftler schreiben Bücher darüber. Aber wir haben im Vereinigten Königreich immer noch die Trennung zwischen "Literature" und "Crime Fiction", in den Buchhandlungen etwa. Das einzige, was Krimiautoren tun können, ist immer bessere Bücher zu schreiben über ernste Gegenwartsstoffe und große Themen. Neue Autoren kommen mit neuen Ideen und Schreibweisen. Dann wird Kriminalliteratur vielleicht ernst genommen als Literatur über unsere Gesellschaft und wird auch seriöse Literaturpreise wie den Man Booker Prize bekommen.

Samstag, November 24, 2007

"Blutsünde: Usedom-Krimi mit Flair und Niveau"

Rezension auf literature.de: "Im Spannungsfeld von Rostock und Usedom entfaltet sich Henrike Heilands dritter Roman um das Ermittlerduo Kemper und Wahlberg. Sie beginnt mit einem Rückblick. Eine junge Frau verabschiedet sich im Jahre 1936 von ihrem Geliebten, sie verabreden, sich in Berlin wiederzusehen. Die Frau glaubt daran. [...] Viel von seiner Spannung bezieht der Roman aus dem langsamen Zusammenführen von diesem Handlungsstrang und den Morden, mit denen Blutsünde in krimitypischer Manier beginnt. Überhaupt gelingt der Autorin ein gelungener Einstieg in Form des jungen linksliberalen Punks Mike, der in glaubwürdiger Jugendsprache in die Geschichte einführt. [...]
Fazit: Usedom-Krimi mit Flair und Niveau."

Freitag, November 23, 2007

Eltern III

Telefonkommunikation.

HH: Seid Ihr noch in München in der Wohnung?
P: Jaja! In München!
HH: Ich glaub, ich hab so ne schwarze Hose liegen lassen.
P: Ne schwarze Hose? (Gemurmel im Hintergrund) Hier ist keine schwarze Hose von Dir. Die hätten wir doch gesehen.
HH: Komisch, die hab ich nämlich nicht im Koffer ... Sicher, dass ich die nicht hab liegen lassen?
P: Wir haben hier keine gefunden. Die fällt doch auf, so ne schwarze Hose.
HH: Ich hab aber schon überall geschaut, die war definitiv nicht in meinem Koffer, und in München hatte ich sie noch.
P: Das kann überhaupt gar nicht sein. (Gemurmel im Hintergrund) Nee, ganz sicher. Keine schwarze Hose.
HH: Kannst Du nicht doch noch mal schauen?
P: Das ist grad ganz schlecht.
HH: Sag mal wo seid Ihr denn?
P: Im Getränkemarkt.
HH: Na dass da keine schwarze Hose von mir ist ... Im Gästezimmer! Im Oberschrank ganz links, da hatte ich die liegen!
P: Ach im Schrank! Da kann ich jetzt nicht schauen. Wir sind ja im Getränkemarkt.
HH: Aber nachher doch!
P: Ja, aber jetzt sind wir doch im Getränkemarkt, und da kannst Du doch noch mal bei Dir schauen, ob sie nicht doch ...
HH: Ich HAB schon dreimal!
P: Wir haben keine ...
HH: Im SCHRANK!
P: Da haben wir noch nicht ...
HH: Dann SCHAU halt!
P: Aber wir sind doch im Getränkemarkt ...
HH: Nachher! Und dann noch mal anrufen!
P: Jetzt geht das aber gerade nicht, und gesehen haben wir sie auch nicht, ich glaub ja nicht, dass ...
HH:(legt auf)

Mittwoch, November 21, 2007

Eltern II

In der Münchener Heiland-Dependance

Sie: Warum hast Du denn über eine Stunde im Media Markt gebraucht? Du wolltest doch nur den Fernseher von der Reparatur abholen. Wo ist überhaupt der Fernseher?
Er (Bluthochdruck): Ha! Der Fernseher! Nicht repariert war der! Denen hab ich vielleicht was erzählt! Garantiefall, hab ich gesagt, und die wollten Geld von mir, für einen nicht reparierten Fernseher, und sagen mir noch, ich sei dran Schuld, dass das Ding kaputt ist, und deshalb ist es kein Garantiefall, und um mir das zu sagen, wollen sie schon Geld von mir … […] …hab ich den Geschäftsführer verlangt, hinter mir war schon eine Schlange, zwanzig Leute standen da und hatten so Ohren, die haben alle gehört, was das für ein scheiß Laden ist, und als dann der Geschäftsführer kam … […] … und ich sage zu ihm, das ist doch Ihre scheiß Politik, Ihre scheiß Media Markt Politik, aber wissen Sie was, ich lass mich von Ihnen nicht verarschen, ich bin doch nicht blöd, und da hat er vielleicht gekuckt, hinter mir schon fünfzig Leute … […] … und sagt der auch noch, ich sei dran Schuld, die Bildröhre sei kaputt, die sei teurer wie der ganze Fernseher, kein Garantiefall, der sei mal runtergefallen, sag ich zu ihm, der ist nicht runtergefallen, ich merk doch wohl, wenn mir mein Fernseher runterfällt, der ist Ihnen runtergefallen, jawohl, nicht mir, ich werde doch wohl wissen, wann mir mein Fernseher runterfällt! Verarschen wollen die mich, das ist doch Politik! Jedenfalls meldet er sich morgen und überlegt sich was wegen dem Fernseher. Also was denkt der sich, ich merk doch, wenn mir der Fernseher runterfällt.
Sie: Der Fernseher IST letztens runtergefallen.
Er: (Schockstarre, dann:) Was?
Sie: Ja, XXX war doch im August hier und hat dann angerufen, dass ihr der Fernseher von dem kleinen Tischchen gerutscht ist.
Er: Echt?
Sie: Deshalb ist er doch kaputt gegangen.
Er: Oh.
Sie: Das hab ich Dir aber gesagt. Und jetzt?
Er: Nix. Da geh ich nicht mehr hin. Ich geh einfach nicht mehr ans Telefon und geh auch nicht mehr in den Media Markt.

Montag, November 19, 2007

Eltern

Ha Long, München, zwischen Orangenente und gebratenen Nudeln

Dramatis Personae:
Eltern (zwei)
HH

Sie: Das heißt, wir gehen jetzt schon wieder nach Hause, weil Fußball im Fernsehen kommt?
Er: Ja, das ist wichtig!
HH: Ach deshalb wolltest Du schon um sechs Essen gehen?!
Sie: Also Du mit Deinem Fußball! Dann will ich aber kein Gemecker mehr hören, wenn ich meine Verbotene Liebe schaue.
Er: Das ist doch was ganz anderes. Verbotene Liebe ist totaler Quatsch. Da kann man auch mal eine Folge verpassen.
Sie: Wieso?
Er: Na, da geht’s doch eh immer nur um dasselbe. Kriegen sie sich oder kriegen sie sich nicht.
Sie: Beim Fußball auch: Treffen sie oder treffen sie nicht.
Er: Aber da passiert wenigstens was!
Sie: Bei Verbotene Liebe auch, und zwar ganz viel!
Er: Ach, was denn? Jede Folge ist da genau gleich!
Sie: Pah, was passiert denn schon beim Fußball? Da ist auch jede Folge genau gleich: Grüner Rasen, ein Ball, und ein paar Wahnsinnige, die gegen das Ding treten.
Er: Aber das ist spannend! Da geht’s um ganz große Emotionen!
Sie: Verbotene Liebe ist auch spannend. Und hat auch ganz große Emotionen.
HH: Läuft die Diskussion darauf raus, dass Fußball und Verbotene Liebe in der Essenz so ziemlich dasselbe sind?
Sie: Genau!
Er: Ich bestell lieber noch ein Bier.

Freitag, November 16, 2007

Anämische Begleiterscheinungen

Im Ärztezimmer.
Dramatis Personae:
HH
Oberarzt

HH: Manchmal hab ich das Gefühl, Medizin hat so ein bisschen was von Kaffeesatzlesen, kann das sein?
OA: Unsinn. Die Medizin ist eine exakte Wissenschaft.
HH: Hätt ich’s vielleicht doch mal studieren sollen.
OA: Stand das zur Debatte?
HH: Nicht einen einzigen Tag. Aber so rückblickend …
OA: Was haben Sie denn stattdessen?
HH: Literaturwissenschaften, so Zeugs.
OA: Nicht wirklich die Sorte exakte Wissenschaft.
HH: Deshalb kommt mir das Kaffeesatzlesen ja auch so bekannt vor, was Sie machen.
OA: Ich hab hier Laborwerte und Statistiken, das hat schon alles seine Richtigkeit. Was machen Sie denn jetzt mit Ihrem Zeugs, ähm, Studium?
HH: Bücher schreiben.
OA: Ah, dann können Sie ja demnächst mal …
HH: … was über Ärzte schreiben?
OA: Ja, woher wissen Sie, dass ich …
HH: Sie sind nicht der erste.
OA: Ach. Gibt’s etwa schon Arztromane?
HH: Scherz, oder?
OA: Bisschen. So, hier haben wir Ihre Werte … Oh!
HH: Oh?
OA: Erstaunlich.
HH: Geht’s auch mit weniger Kaffeesatz?
OA: Der Wert hier, sehen Sie, der hatte uns ja so viel Ärger gemacht, der ist jetzt wieder fast normal.
HH: Das ist doch …!
OA: Eigentlich dauert es drei Monate, nicht drei Wochen, bis der da ist, wo er jetzt ist, von da, wo er vorher war, meine ich.
HH: Aaaaaah, ich bin ein medizinisches Wunder?!
OA: Bevor Sie sich jetzt auf der Titelseite von der Bild sehen …
HH: Das Heiland-Wunder!
OA: Ah verdammt, Sie heißen ja auch noch Heiland!
HH: Toll, was?
OA: Also. Bevor Sie sich jetzt auf der Titelseite sehen, statistisch gesehen kann das schon mal vorkommen.
HH: Dann bin ich also nur eine von soundsoviel Prozent?
OA: Ich sag mal so: Sie sind nicht die erste oder einzige.
HH: Und woran liegt’s?
OA: Da könnte man jetzt spekulieren …
HH: Bei ner Tasse Kaffee? Exakte Wissenschaft, ja?

Out now - Schweriner Kurzkrimis

Unter dem Titel "Der Petermännchenmörder" ist soeben ein Kurzgeschichtenband mit Krimis aus Mecklenburg erschienen. Darin sind die zehn Gewinner des von der Buchhandlung Weiland ausgeschriebenen Wettbewerbs, und als Bonustrack sozusagen eine winzige Story von Henrike Heiland, die in direktem Zusammenhang mit den Rostock-Romanen steht.
Erhältlich bei allen Weiland-Buchhandlungen oder zu bestellen mit der ISBN-Nummer 978-3-87890-124-2.

When Under Ether

Drei Vollnarkosen in vier Wochen haben Nebenwirkungen, vor allem auf die psychische Beschaffenheit. Bei der ersten noch diskutiere ich mit dem Anästhesisten über meinen Unwillen, mich diesem vollkommenen Kontrollverlust auszuliefern.
„Hat man Ihnen so eine blaue Tablette gegeben?“, fragt er.
Ich nicke eifrig.
„Wirkt nicht bei Ihnen“, murmelt er, deutlich unwirsch, während ich ihm erkläre, dass ich Krankenhäuser, Ärzte, Narkosen und Operationen im Grunde ablehne und gerne wieder gehen würde. Er dreht eilig an irgendeinem Dings, das mit dem Tropf verbunden ist, und ich bin schneller weg, als mir recht ist.
Bei der zweiten ist es ein anderes Krankenhaus und eine andere blaue Tablette.
„Wirkt sie?“, fragt der Anästhesist, und ich sage: „Keine Ahnung, was passiert denn, wenn sie wirkt?“
„Gut, sie wirkt also nicht“, stellt er fest und will wissen, wie es mir geht. Diesmal behalte ich meine Meinung über Krankenhäuser, Ärzte, Narkosen und Operationen für mich und sage nur, dass ich Kopfschmerzen, Atemnot und weitere typische Anzeichen für eine Panikattacke habe.
„Ich habe auch Kopfschmerzen“, sagt er und bereut es sofort, weil ich wissen will, seit wie vielen Stunden er schon im OP rumsteht. Achtzehn? Zwanzig? Er beteuert, noch in der ersten Zwölfstundenschicht zu sein und verspricht mir, gut auf mich aufzupassen.
„Denken Sie an was Schönes“, sagt er. „Bei dreißig Prozent klappt’s, dass sie davon träumen.“
Ich denke an Fife, gehöre aber nicht zur Minderheit. Ich träume von München, stelle fest, dass ich die ganze Zeit schon in München bin und finde mein Unbewusstes nicht sonderlich einfallsreich.
Bei der dritten hat man mir keine blaue Tablette verordnet, und der Anästhesist weiß schon, dass ich Angst habe. Weil er sich an mich erinnert oder weil die Schwester seit fünf Minuten meine Hand tätschelt und mir eine Einführung in die verschiedenen Narkosearten gibt, die ich nicht hören will. Eigentlich sollte ich mich langsam auskennen, aber ich strample wieder unwillig, als die Maske auf mich zukommt und glaube kein Wort davon, dass es sich erstmal nur um Sauerstoff handelt. Der Anästhesist versichert, es sei völlig normal, Angst zu haben. Ich behaupte, nur Menschen zu kennen, die tolle Geschichten über Vollnarkosen erzählen, aber er weiß: „Bei mir hatten sie bis jetzt noch alle Angst.“
Das beruhigt vorerst, und ich hauche noch etwas von möglichen Panikattacken. Der Anästhesist tätschelt jetzt meine andere Hand, und dann bin ich auch schon wieder im Aufwachraum und frage, wann es losgeht. Auf der Station schlafe ich glatte fünf Stunden und träume Psychedelisches, zum ersten Mal in meinem Leben. Eine Siebzigerjahrekulisse vorwiegend mit rotschwarzweißen Spiralen, in denen ich mich verlaufe, während die Yellow Submarine unter Regie der Coen-Brothers vorbeikommt. Alice ist wieder im Wunderland, ich hüpfe über ein schwarzrotes Schachbrett, wo in den Spielfeldern um mich herum kleine weiße Hasen verschwinden.
Zwischendrin werde ich immer wieder kurz wach und sehe die Friseurin im Bett neben mir (aus bei Landshut, macht in L’Oréal und Wella) Harry Potter lesen. Manchmal sehe ich sie auch ihren Katheter spazieren tragen und tief seufzen. Die psychedelischen Träume hören erst gegen Nachmittag auf, und ich versuche, mich an den Namen des Anästhesisten zu erinnern, weil ich wissen will, was er mir diesmal gegeben hat, oder ob einfach die Narkosenhäufung Schuld ist.

Freitag, November 09, 2007

Tauchstation

Man lernt ja viel in so einer Zeit. Unter anderem, wie internetsüchtig man in Wahrheit ist. Ich würde so gerne, aber es geht leider nicht.
Ich bitte daher um Verständnis, dass ich aufgrund begrenzten Internetzugriffs nicht alle Mails beantworten kann, das muss warten bis – ja. Bis, eben.
Danke an alle, die an mich denken, ein bisschen brauch ich noch Eure mentale Unterstützung. Die hilft nämlich, ehrlich.
Also: weitermachen, bitte.
Sehr gerührt:
H.

Zweiklassengesellschaft

Vorm Schwesternstützpunkt

Dramatis Personae:
HH (in Mantel und Schal, wartet auf den Oberarzt)
Assistenzärztin (verehrt den Oberarzt)

A (giftig): Was wollen Sie? Sind Sie Studentin oder was? Stehen Sie hier nicht so rum!
HH: Ähm, ehrlich gesagt bin ich seit zehn Jahren aus dem Studienalter raus, und ich steh hier rum, weil ich einen Termin mit dem Oberarzt Dr. X habe.
A: Mit dem Dr. X? Persönlich?
HH: Ja, also so um… jetzt, eigentlich.
A: Sind Sie… privat?
HH (versteckt schnell gesetzliches Krankenkassenkärtchen und wirft vielsagenden Blick an die Decke)
A: Aaaaaaah, entschuldigen Sie, also in dem Fall… Wollen Sie sich nicht setzen? Gleich hier? Ist das bequem so? Haben Sie was zum Lesen? Und da vorne gibt es was zu trinken… Was hätten Sie denn gerne? Tee? Wasser? Vielleicht haben wir auch noch Kaffee… (brüllt) Schwester! Kaffee für Frau… (sanft) Wie war noch gleich…
HH: Heiland, und ich trinke keinen Kaffee, danke. Ich warte nur.
A: Oh. Ja. Gut. Also, falls Sie was brauchen, wir sind jederzeit…
HH: Klar.
A: Und ich suche den Herrn Doktor.
HH: Super.
A: Und wenn Sie was trinken wollen…
HH: Ich weiß. Hagebuttentee steht da vorn.
A: Ich kann Ihnen auch Rotbusch oder…
HH: Einfach nur den Herrn Doktor, das reicht mir.
A: Sehr wohl. Kommt sofort.
HH (weiß, dass sie niemals in die Private wechseln kann und genießt den seltenen Moment): Danke.

Globalisierung

Auf der Kirchweih in der Oberpfalz. Die Blaskapelle spielt auf.

„Mei, hast du den Schwarzen da gesehen?“
„Der ist aus Kalifornien. Der besucht uns jedes Jahr.“
„Der spielt ja die Tuba! Dass der das kann, so ein Amerikaner.“
„Wieso? Kennt man die Tuba nicht in Amerika?“
„Das ist doch ein ganz ein bayerisches Instrument ist das doch!“
„Die Tuba?“
„Und dass der das alles so spielen kann, dieser Amerikaner.“
„Was denn?“
„Na das sind doch alles so ganz bayerische Lieder sind das doch alles.“
„Und?“
„Ja, wie kann der das denn spielen, frag ich. Das ist doch ein Amerikaner, ein schwarzer.“
(genervt) „Wahrscheinlich hat er englische Noten.“
(erleuchtet) „Aaaah, das könnt’s sein.“


(Das ist eigentlich Meggies Geschichte. Danke, Meggie.)