Sonntag, Dezember 02, 2007

Adventliches

Der Autor, heißt es, langweilt sich nie, denn er kann alles, was er erlebt, in irgendeiner Form in seinen Geschichten verarbeiten. Man lernt immer etwas dazu, heißt es, und kann alles wunderbar abstrahieren und verallgemeinern. Gelernt habe ich in den letzten Tagen:
• Man muss deutlich mehr als ein bis zwei Liter Blut verlieren, bevor man ohnmächtig wird. Vorher hat man immer noch ausreichend Energien, Ärzte zu beleidigen und Krankenschwestern anzukeifen. (Dit is die Panik, sagt der Oberarzt. Sie dürfen mich ruhig hassen, ick wees, dit tut dolle weh.)
• Wenn man will, dass im Notfall ein echter Arzt zu einem nach Hause kommt, darf man nicht 112 wählen, oder man muss denen am anderen Ende der Leitung klar machen, dass man einen echten Arzt braucht. Ansonsten kommen zwar sehr nette und gut gelaunte, aber medizinisch nur grundlegend ausgebildete junge Herren, die schon mal etwas überfordert wirken können.
• Das Krankenkassenkärtchen ist wichtig, auch und besonders, wenn es sehr schlimm um einen steht. Vermutlich ist es das erste, was Rettungssanitäter lernen: Immer nach der Karte fragen, auch wenn der Patient knietif in seinem eigenen Blut watet.
• An Blaulichtfahrten kann man sich nur ganz schwer erinnern. Zeitabläufe werden dann extrem relativ. Hinterher gibt es aber immer eine sehr hilfreiche entfernte Nachbarschaft, die zwar nicht weiß, worum es ging, aber alles im Detail berichten kann. Dabei erzählt jeder etwas anderes.
• Der Hinweis „Ich blute überall hin“ ist unpräzise, wird gerne missverstanden und sowohl im Rettungswagen als auch im Krankenhaus mit einem „Das macht nichts, das können wir wegwischen“ gewürdigt. Offenbar ist es für Menschen, die gerade kein Blut verlieren, zweitrangig, dass derjenige, der es verliert, gerne noch ein paar Tropfen im eigenen Körper behalten würde. Dafür scheint aber ganz klar, dass der Verblutende sich selbstverständlich um die Einrichtung sorgt.
• Irgendwann allerdings, wenn der erste Schock vorbei ist und man das Gefühl hat, medizinische Kompetenz ist auf dem Weg, denkt man tatsächlich über Schadensbegrenzung nach und sagt Dinge zur Krankenschwester wie: „Der Pullover ist neu, passen Sie auf, wenn Sie ihn mir für lebensrettende Maßnahmen vom Leib zerren.“ Oder: „Der Rock kann nur in die Chemische, versuchen Sie mal, dass da nicht zuviel Blut rankommt.“ (Dit nennt sich Übersprungshandlung, sagt der Oberarzt.)
• Scham ist ein seltsames Gefühl. In Momenten höchster Not verschwindet sie weitestgehend, kehrt aber einige Tage später umso gewaltiger zurück. Man wälzt sich dann mit einem gequälten Stöhnen im Bett, die Schwester sorgt sich, ob man Schmerzen habe, doch in Wahrheit denkt man zurück und schämt sich entsetzlich, entgegen aller Vorgaben des Verstandes. Kaum hat man überlebt, stehen antrainierte Verhaltensmuster wieder ganz oben.
• Ärzte schätzen es nicht, wenn man sie mehrfach fragt, ob sie wissen, was sie da tun, ob sie das vorher schon mal getan haben, und ob sie nachts um eins wirklich noch wach genug und in der Lage sind, zu operieren.
• Liegt man zufällig aus Platzmangelgründen in einem Privatpatientenzimmer, wundert man sich schnell, wie schön es in so einem Krankenhaus sein kann. Man bekommt sogar einen Speiseplan und darf Sachen ankreuzen.
• Wenn man in einem Krankenhaus der Siebenten-Tags-Adventisten gelandet ist und die Schwestern erstmal verstanden haben, dass man nicht Heilmann, sondern Heiland heißt, schlägt die Begeisterung hohe Wellen.
Ich bin gespannt auf meinen nächsten Roman, ganz ehrlich.

6 Kommentare:

Alice Gabathuler hat gesagt…

So, liebe Henrike, jetzt ist mir speiübel ... und ich hoffe, dass mir eine solche Erfahrung erspart bleibt.

Allerdings: ich weiss jetzt schon, dass ein klitzekleiner Deziliter Blutverlust bei mir ein sofortiges Wegtreten zur Folge hätte - ich kann nämlich kein Blut sehen ohne dass mir schwarz vor Augen wird.

Ja, ja, und so eine schreibt Krimis, ich weiss.

Alice / Frau Z.

Henrike hat gesagt…

neinnein, meine liebe, wenn es das eigene ist, kann man eine menge ertragen. eine menge.

Zappadong hat gesagt…

Da du wohl aus Erfahrung sprichst, wage ich nicht zu widersprechen.

Ich weise einfach zaghaft auf den Tag hin, an dem ich mir beim Staubsaugen meine recht grosse Brandblase auf dem Arm aufgeschrammt habe und mich dann stark wankend am Kleiderschrank festhalten musste.

PS: Fragt nicht, wie ich zur Brandblase gekommen bin (peinliche Geschichte) und wie ich es geschafft habe, sie beim Staubsaugen platzen zu lassen (ebenfalls peinliche Geschichte).

Alice / Frau Z.

Henrike hat gesagt…

doch! doch! ich will beide geschichten hören! du kannst sie ja unter falschem namen schreiben und so tun, als seien sie jemand anderem passiert, den die person, die unter falschem namen schreibt, kennt...? na los! munter mich auf! ich kann's gebrauchen!

albertsen hat gesagt…

Kaum schaut man hier mal zwei, drei Tage nicht rein, schon kommen solche Geschichten... Und ich dachte, es war alles einigermaßen überstanden.

Alles Gute auf jeden Fall!

(Und was das in Ohnmacht Fallen anbelangt: Vieleicht es es was Anderes, wenn es ums Ganze geht. Dann sagt schon der Selbsterhaltungstrieb: "Ich kann hier nicht umkippen, ich muss den Arzt rufen.")

Christine hat gesagt…

Liebe Henrike,

das sind ja schreckliche Neuigkeiten! Ich hatte so für Dich gehofft, dass Du so bald kein Krankenhaus mehr von innen sehen müßtest.
Ich wünsche Dir viel Kraft und schicke Dir einen docken Sonnenstrahl aus München.