Donnerstag, Juni 07, 2007

Gute Bekannte (fiktional)

Es ist morgens um acht, als er vorbeikommt, dieser verrückte Kerl, und mich weckt. Rüttelt an meiner Schulter und zieht mir die Decke weg, bis ich ihn nicht mehr ignorieren kann. Hat immerhin eine Flasche Saft dabei, zum Wachwerden für mich. Setzt sich auf die Bettkante, lässt mich ausgähnen und fängt an zu erzählen.
Ich dachte immer, ich kenne ihn ganz genau.
Arrogantes Bürschlein, weiß, dass er gut aussieht, weiß außerdem, wo er hinwill im Leben, weiß noch dazu, dass ihn so leicht nichts und niemand aufhalten wird. Und was erzählt er mir da? Von seinen tiefsten Ängsten und Nöten. Von miesen Dingen, so mies, dass mir schwindlig wird von den Abgründen, in die er mich schauen lässt.
Ich dachte immer, ich kenne ihn ganz genau.
Schließlich hab ich ihn ja erfunden. Er sollte eine zentrale Figur in meinem nächsten Buch sein. Zentral, aber nicht die Hauptfigur.
Er wischt sich noch die Tränen mit einem Zipfel von meiner Bettdecke weg, räuspert sich umständlich, versucht, die Peinlichkeit seines Geständnisses zu überspielen, indem er rasch aufsteht und geradesteht und sich jovial verabschiedet. Lässt mir den Saft immerhin da. Verschwindet, wie er gekommen ist, laut- und spurlos.
Ich befördere ihn zur zweiten Hauptfigur. Seine Geschichte ist einfach zu interessant. Damit lässt es sich gut weiterschlafen.

1 Kommentar:

Zappadong hat gesagt…

Ha! Solche Typen kenne ich auch.

Der letzte, der das mit mir gemacht hat, war ein 75-jähriger Bergbauer, ein schrulliger, aber gutmütiger Kerl, der sich dann glücklicherweise meiner ziemlich verlorenen Teenager angenommen hat. Am Ende hat er wesentlich zur Auflösung des Falles beigetragen :-)

Vor ihm war es ein Ermittler. Der sollte eigentlich nur ermitteln. Hat sich dann aber ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt und Job und Kragen riskiert für meinen Protagonisten.

Ich liebe solche Figuren. Egal, zu welcher Unzeit sie mich heimsuchen.

Zappadong