Montag, Juni 04, 2007

Zur Förderung der Kreativität

Hypochondrie ist ja eine der interessantesten Krankheiten überhaupt. Leider wird sie selten genug als solche akzeptiert, selbst in dem Land mit der höchsten Hypochonderdichte. Das ist übrigens Deutschland.
Hypochonder wie ich kennen es. Irgendetwas tut weh, und der Arzt weigert sich, die befreienden Worte zu sprechen: „Sie haben noch drei Tage.“ Nein, er sagt stattdessen: „Ich kann nichts finden. Haben Sie vielleicht Stress?“ Das mit dem Stress ist die moderne, die einfühlsame Variante, die sich immer weiter verbreitet. Den eingefleischten Hypochonder können sie aber kaum mit solchen Lappalien wie „stressbedingter Funktionsstörung“ abspeisen, diese grobschlächtigen Pschyrembeljünger. Alles, was auf eine Lebenserwartung von mehr als drei Monaten hinweist, kann nur Lüge sein.
Früher einmal war Hypochondrie eine Krankheit, die man als solche akzeptiert hat. Hölderlin zum Beispiel war offiziell diagnostizierter Hypochonder, den ließ man dann auch den Rest seines Lebens in Ruhe in seinem Turmzimmerchen sitzen, wo er sich komplett dem Wahnsinn hingab. Dann folgten Zeiten, in denen sich der Hypochonder völlig sich selbst überlassen war, von Ärzten und Verwandten nur milde belächelt bis harsch zurückgewiesen oder gar verspottet. Heute bemüht man sich aber wieder, sie ernst zu nehmen, die eingebildeten Kranken.
Da es immer mehr Fälle von Arbeitsunfähigkeit gibt, hervorgerufen durch psychische Störungen, hält man in einigen psychiatrischen Krankenhäusern sogar extra Betten für Hypochonder frei.
Doch der Ansatz als solcher ist schon falsch. Ein Hypochonder glaubt nicht daran, dass er von seiner Hypochondrie geheilt werden muss. Sondern von den sonderbaren Krankheiten, die ihn seit Jahren plagen und die nur noch niemand erkannt hat. Warum also Betten in der Psychiatrie? Da gibt’s schließlich keine Chirurgen, wenn man sie braucht, und ob die sich mit dem Ultraschall überhaupt auskennen, diese Psychiater?
Und warum sollte ein Hypochonder überhaupt arbeitsunfähig werden? Wenn man doch glaubt, man habe nur kurze Zeit zu leben, spornt das nicht im Gegenteil an, noch schnell Höchstleistungen zu bringen, auf der Zielgeraden das Beste zu geben, es noch einmal allen zu zeigen?
Hypochonder sollten daher deutlich niedrigere Beiträge zahlen und trotzdem mehr Arztbesuche gewährt bekommen. Arztbesuche, die stets mit dem Hinweis enden: „Schließen Sie noch eben ab, woran Sie gerade arbeiten. Sie haben nicht mehr viel Zeit.“
Besonders im kulturellen Bereich könnte dies immense Vorteile bringen. Plötzlich würden Kunstwerke, Bücher, Theaterstücke, Musikkompositionen beendet, die sonst nie einen Abschluss gefunden hätten. Welche Meisterwerke gehen uns wohl gerade verloren?
Andererseits war ich immer recht froh darüber, dass sich mein Onkel Horst, der gerne die Urlaubsvideos von Lanzarote mit Egerländer Blasmusik nachvertont und dabei aus dem Reiseführer vorliest, noch Zeit lassen wollte mit seinen Memoiren. So gesehen…

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