Kreative Freiberufler und Rentner haben so einiges gemeinsam. Sie sitzen den ganzen Tag zu Hause, können zu arbeitnehmerunfreundlichen Zeiten einkaufen gehen und sind für jede Ablenkung dankbar.
Während sich Rentner im Allgemeinen gerne aus ihrer täglichen Routine (u.a. dem Erkennen neuer Krankheiten an sich oder ihrem Hund) reißen lassen, ist es beim Freiberufler eher die Hoffnung auf Inspiration oder, sagen wir’s ehrlich, der Wunsch nach neuerlicher Prokrastination.
Ein Autounfall ist immer ein sehr dankbarer Grund, für eine Weile nicht das zu tun, was man tut. Ein Autounfall in einer ruhigen Wohngegend ist ein besonders dankbarer Grund, denn die äußerlichen Prokrastinationsanreize sind dort ansonsten eher gering.
Die Kreuzung wenige Meter von meinem Haus weg ist eine Ampelkreuzung. Allerdings wird diese Ampel nachts und an hohen Feiertagen nicht betrieben, so auch kürzlich an einem Sonntag. Oft achten die Verkehrsteilnehmer in solchen Fällen auf die Schilder, die man zu ebendiesem Zweck vor den Ampeln anbringt. Ebenso oft achten sie auch nicht darauf, was an dieser Kreuzung mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Konsequenzen hat, denn Polizeikontrollen gibt es hier fast nie, und Kreuzungsverkehr verschwindend selten.
An besagtem Sonntag aber trat der unwahrscheinliche, denn mitnichten unmögliche Fall ein. Es krachte. Es war ein schöner Sonntag, ein sonniger Sonntag, und kaum hatte es gekracht, schon war die gesamte Nachbarschaft auf der Straße. Auch der hart arbeitende Freiberufler ist keineswegs frei von diesem archaischen Drang, Menschenmassen hinterherzurennen. (Man verkauft es hinterher sich und anderen einfach als Charakterstudie und Recherche, als Eintauchen in das wahre Leben.) An besagtem Sonntag also, an dem es gekracht hatte, sah ich zum ersten Mal meine Nachbarn, und der Unfall, der in Wirklichkeit sehr glimpflich abgelaufen war und nur Blechschäden hässlicher Fahrzeuge zu beklagen hatte, der Unfall wurden eingehend diskutiert. Es fehlte einzig noch ein Würstchenverkäufer. Er hätte viel Geld verdienen können. Doch der Höhepunkt war ein alter Mann, der sich in die Diskussion um Verkehrssicherheit einbrachte und sagte: „Das kracht ja hier dauernd. Ich weiß noch ganz genau, fünfundneunzig hatten wir hier auch so einen Unfall.“
Vielleicht wohne ich doch ein bisschen zu ruhig.
Montag, Juni 04, 2007
Freiberuflicher Notstand
Eingestellt von Henrike um 11:43 AM
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