Ungefähr so zum Ende des 18. Jahrhunderts hin begann eine bis heute anhaltende Entwicklung, die in Intellektuellenkreisen unfehlbar für Naserümpfen sorgt: Plötzlich entstand die Trivialliteratur. Jeder, der eine Feder richtig herum halten konnte, kritzelte seine geistigen Ergüsse auf Papier und hielt sie einem Verleger unter die Nase. Vieles davon wurde auch unter das Volk gebracht, denn mit zunehmender Verbesserung des Schulsystems konnten immer mehr Menschen lesen, und diese wollten auch unterhalten werden. Unterhalten. Im Sinne von: nach getaner Arbeit den Geist mit Spannendem, Schwülstigem, Phantastischem, Abenteuerlichem benebeln.
Anspruchsvollen Herren wie Goethe und Schiller passte das natürlich gar nicht.
August Lafontaine, der es auf rund 160 Romane und Novellen brachte, lachte darüber nur und erklärte, schneller zu schreiben, als er zu lesen fähig sei, deshalb könne er sich an viele seiner Romane gar nicht mehr erinnern. (Gut, das geht einigen Schriftstellern so, die führen die Gedächtnislücken aber meist auf irgendwelche Drogen zurück. Schnellschreiben ist eine tolle neue Ausrede, um sich von seinem eigenen Werk zu distanzieren.)
E.T.A. Hoffmann, der erst spät in seinem Leben zur Schriftstellerei fand, liebäugelte ebenfalls mit der gemeinhin als trivial bezeichneten Genreliteratur. Goethe fand ihn unmöglich, natürlich, Jean Paul verzog das Gesicht, Grimm schüttelte den Kopf. Andere wie Poe und Baudelaire hingegen waren begeistert von seinem unbändigen Erfindungsreichtum, seiner Kunst, die Grenzen zwischen Wahn und Realität für den Leser bis zur Unkenntlichkeit zu verwischen.
Ganz so trivial waren seine Werke offenbar wohl nicht, sein Einfluss auf die Nachwelt unbestreitbar, doch die Diskussion um Hoffmanns Qualitäten als Schriftsteller nahm kein Ende. Als nächstes mäkelte man an seinem Stil, vielmehr an dem nicht vorhandenen. Im Versuch, ihn wissenschaftlich zu rehabilitieren, wurde daraufhin die Stillosigkeit als Stilelement angesehen: Hoffmanns Stil läge im intendierten Stilbruch. Kurz: Bis heute wird dem Manne jedes Wort entrissen, von allen Seiten besehen, umgedreht, und wieder vor die Füße geworfen.
Kaum einer schenkt den hartnäckigen Gerüchten Beachtung, dass Hoffmann seine besten Sachen im Rausch schrieb. Nüchtern, munkelt man, schrieb er entsetzlichen Unsinn, besser also, wenn er nicht zu viel darüber nachdachte und einfach mal machte. Nun mag der wie auch immer zugefügte Rausch die Phantasie anregen, dem Stil ist er selten zuträglich. Wir wissen sicher, dass Hoffmann ein gern gesehener Gast bei Lutter und Wegner am Gendarmenmarkt war. Selten blieb es bei Wasser. Eigentlich nie. Und auch schon vor seiner Berliner Zeit war er nicht gerade abstinent. Stellt sich die berechtigte Frage, ob es sich wirklich lohnt, jedes Wort bei ihm zu sezieren, ging es ihm doch mehr um die Geschichte, als um sprachliche Feinheiten.
Und wieder die Frage: Wie wichtig ist Stil bei brillanten Inhalten? Wie wichtig der Inhalt bei brillantem Stil? Und welche Urteilsfähigkeit hat die Gunst der Masse?
Auf der Frankfurter Buchmesse hörte ich einen hier namentlich nicht zu nennenden Programmleiter zu einem ebenfalls anonym bleibenden Kollegen sagen: "Bloß nicht der, der ist doch einer von den Autoren, die beleidigt sind, wenn sie mehr als 500 Bücher verkaufen."
Montag, Juni 04, 2007
Stilfragen
Eingestellt von Henrike um 11:41 AM
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