Morgens um elf, man hat noch Dinge zu Frühstückszwecken stehen lassen, von denen man annimmt, dass ich sie verwerten könnte. Nach zweiunddreißig Jahren liegt man auch nicht mehr ganz so schlimm daneben, vielleicht liegt es aber auch an der Stiefmutter, die sich solche Dinge einfach besser merken kann.
Niemand ist zu sehen, auf dem Küchentisch liegt ein Zettel, und die ersten Worte lassen mir den Atem stocken: Auf der Suche nach der verlorenen... steht da, und ich denke in diesem Bruchteil einer Sekunde, bevor ich weiterlese, ich denke Proust? Mein Vater? Das kann nicht! Nicht nach Jahren endloser Vorträge über die Sinnlosigkeit eines Literaturstudiums und die Brotlosigkeit meiner Talente. Das kann nicht!
Brille, endet der Zettel, und ja, das ist er, so kenne ich ihn, niemand hat je so viele Brillen gesucht und verloren wie mein Vater, er ist eigentlich schon seit ich ihn kenne auf der Suche nach der verlorenen Brille. Ich kann wieder atmen, und alles um mich herum wird wieder ganz normal, zum Beispiel klingelt ein fremder Mann und wundert sich, dass ich noch im Schlafanzug bin, und ich wundere mich, dass er sich wundert, aber ich bin ja in Burgsolms, wo alle um sieben aufstehen, dann kommt mein Vater und erzählt die Geschichte von der verlorenen Brille, die er natürlich nicht gefunden hat, ich erzähle ihm von Proust, er schaut irritiert, ich fühle mich fremd, genau, zu Hause.
Dienstag, Oktober 09, 2007
Frühstück (Heimat reloaded)
Eingestellt von Henrike um 1:13 AM
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7 Kommentare:
Man soll sowas ja nicht verallgemeinern und ich will auch nicht altväterlich klingen, aber das Fremde kann sich durchaus legen. Bei mir war es so. Wenngleich ich wohl nie ein Familienmensch werde.
Das Gefühl der Fremdheit legt sich nach einigen Monaten mehr oder wenig, aber nie wirklich. Da sind einerseits die vielen unabhängig, allein in der Fremde gesammelten Erfahrungen, die niemand sonst richtig nachvollziehen kann. Da ist das Wissen, daß man im emotionalen Sinne auch alleine existieren kann, ohne sie. Da ist die schon immer in mancher Hinsicht vorhandene, interessenbedingte Distanz... wie auch immer. Zumindest bei mir. Ist aber nicht weiter tragisch... ;-)
Du schreibst mit so viel Wärme und Zuneigung von diesen fremden Begebenheiten, dass ich denke, du bist durchaus zuhause, sehr sogar.
Alice / Zappadong
das kann ich bestätigen. das gefühl der fremdheit legt sich nach einigen monaten.
anobella
*nickt dir zu
nein, das fremde legt sich nicht, wie auch, das war ja schon immer da, über 30 jahre lang, da helfen auch ein paar monate nicht, und ich glaube auch nicht, dass ich ein paar monate in mittelhessen... hoffentlich nicht... also das wäre ja... macht mir mal keine angst!
Mein Kommentar steht in SpottMag.blogspot.com.
wenn ich spottmagazin richtig verstanden habe, unterstützt er die ansicht, dass ein literaturstudium sinnlos ist, meine talente brotlos. na prima.
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