Sonntag, Februar 10, 2008

Kill Your Idols (Now)

Es sind viele Musikfilme auf dieser Berlinale, Patti Smith hat auch einen mitgebracht („Dream of Life“), und weil sie sowieso schon da ist, gibt sie gleich ein Konzert. Kein richtiges Konzert im Sinne von mit Band und so, sondern eher, sagen wir, ein Liederabend mit Gedichten.
Das ist toll, Patti Smith schreibt wunderbare Gedichte, wie ihre Liedtexte. Ich schleppe sogar seit über fünfzehn Jahren ein Buch mit ihren Gedichten herum. Wir freuen uns also. A. sagt: „Damals in den Achtzigern, als ich in New York war, wir haben ihre Lieder auf der Straße gegrölt, und ich konnte nur zu ihrer Musik malen.“ Sie zieht mich damit auf, dass ich gerade mal so alt bin wie Patti Smiths erste Platte „Horses“.
Wir hören „Horses“ im Auto und grölen mit. Finden einen Parkplatz, über eine Stunde zu früh, und sind nicht die ersten, die in die Kirche wollen. Gut zweihundert Leute stehen schon da, und kaum reihen wir uns irgendwo ein, wächst die Schlange hinter uns. Die Leute um uns herum sehen so aus, als wäre Smiths erste Platte eben erst erschienen, oder vielleicht sind es auch die frühen Achtziger, nach denen sie aussehen. Bei genauer Betrachtung sehen sie so aus, als würden sie schon seit über zwanzig Jahren exakt so aussehen, wie sie aussehen. Die Männer haben lange Haare und Lederjacken, aber sie sprechen über Vermessungstechnik und Aktenablagesysteme, der eine telefoniert aufgeregt mit dem Nachtportier seiner Firma, weil ein Mitarbeiter versehentlich eingeschlossen wurde. Wir lächeln alle ein bisschen, weil klar ist: Es sieht nur noch von weitem wie Punkrock aus, und das liegt nicht daran, dass wir vor einer Kirche anstehen.
Drinnen wird es eng, jeder drängt in die Kirchenbänke und will vorm Altar sitzen, der Rest muss rumstehen. Die Herren neben uns haben einen Flachmann reingeschmuggelt, Reminiszenz an den Punkrock vielleicht. „Schimm Bimm“, strahlt einer und meint, was er sagt. Als der Flachmann leer ist, also nach einer viertel Stunde, schreien die beiden nach Bier und werfen jedem, der aufsteht, um Getränke zu holen, Zehn-Euro-Scheine hinterher. Kein Punkrock. Dann fängt es an.
Patti Smith darf alles. Sie hatte ihre Zeit, sie hat sie immer noch, auch mit einundsechzig, sie rockt noch wie früher, hieß es erst vor kurzem in einer Konzertkritik. Aber sie darf auch ruhiger sein, damit rechne ich, wohl kaum wird sie hier und heute „Gloria“ singen, einiges andere sicher auch nicht, aber es bleibt genug. Sie kommt rein, alle jubeln, sie singt a cappella, alle jubeln, sie liest ein paar Gedichte, und es wird schwierig, weil die Hälfte des Publikums nicht genug Englisch versteht. Egal, es klingt gut, A. war lange genug in New York, ich gewöhne mich auch nach ein paar Sätzen an den amerikanischen Akzent. Obwohl, Berta Breck hat offenbar irgendwo in der Nähe ihr Grab. Nein. Sein Grab, vielleicht Bert A. Breck, ok, es dauert einen Moment, bis ich’s kapiere. Am Sonntagmorgen will sich Patti Smith auf sein Grab legen, wir können auch alle kommen. Bertold. Brecht. Klar. Aber auch diese amerikanische Akzenthürde nehme ich. Patti Smith darf alles. Man verzeiht ihr, dass sie nicht weiß, ob sie ihre Gitarre rechts oder links von sich abgestellt hat, dass sie ihre Brille sucht und wieder weglegt und wieder sucht, dass sie manchmal vergisst, welches Lied sie gerade singt.
Aber dann kommt Giovanni. Giovanni Sollima, Cellist, Ausnahmetalent heißt es, jedenfalls bei Wikipedia, da haben wir nach dem Konzert nachgeschaut. Es passt nicht. Vielleicht passt es ja, aber wir mögen es nicht. Das ist so eine synchrone Entwicklung. Ich sage erst einmal nichts, weil ich A. den Abend nicht verderben will, und A. sagt nichts, weil sie mir keine Flausen in den Kopf setzen will, sie trinkt lieber ungefähr acht Gläser Weißwein und schmollt. Nach der ersten Zugabe rennen wir raus, als hätten wir’s verabredet, und zwei im Alter der Sängerin, die aussehen, als wären sie stolze Reihenhausbesitzer irgendwo hinter Spandau, freuen sich über unsere Plätze. Noch nie Punkrock.
„Der hat alles verkratzt“, grollt A. „Der soll zu den Philharmonikern, der Idiot.“ Und: „Den hat sie doch gar nicht nötig.“ Schlimmer aber fand ich die Liedauswahl, die mir vorkam wie bei einem Konfirmandenausflug, evangelisches Zeltlager mit Lagerfeuer und Akustikgitarre. Nicht das, was ich erwartet hatte, es ist immer so ein Problem mit den Erwartungen, besonders, wenn eine Heldin der Jugendtage vor einem steht. Kill your idols, oder besser: Triff sie niemals.

14 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Kill your idols...

... oder such Dir am besten gleich tote zum Verehren aus. ;-)

Liebe Grüße!

P. S.: Das mit dem Konfirmandenausflug/evangelischen Zeltlager konnte man aber schon ein wenig vorausahnen/befürchten, wenn man die Texte auf ihrer Homepage richtig gelesen hat... ;-)

Henrike hat gesagt…

aber damals, in den 70ern...
*wird nostalgisch

Anonym hat gesagt…

ich finde sie recht verwahrlost ... gut. patti smith hat das recht, verwahrlost zu sein ... aber irgendwie ... sollte man nicht auf sich achten ...?

damals in den siebzigern ... aber da warst du doch noch gar nicht ... HORSES ist toll ... aber auch dingsda ethopia ..

Anonym hat gesagt…

Verwahrlost ist sie nicht. Sie hat nur ihren Look nicht geändert. Nicht ihrem Alter angepasst. Es ist eben so, dass nichts so sehr schmückt, wie jung sein.

Henrike hat gesagt…

jaaa, radio ethiopia...! und bei easter war es schon so, dass sie einen hit brauchte (!). also hat bruce springsteen für sie because the night, war das nicht so? und zum thema verwahrlost: da kann man sich streiten, ob beine rasieren bzw barthaare zupfen ein kulturelles MUSS ist, sie tut's halt nicht.

Anonym hat gesagt…

because the night war der einzige hit. davor war sie nur kennern bekannt und danach flachte sie erst mal wieder ab. die sind alle eine zeitlang b ob stevie wonder, al jarreau oder rio reiser. die kommerziellen phasen waren immer scheiße.
schön finde ich es, wenn sie plötzlich was zusammen machen. es gibt ja dieses wirklich tolle konzert von springsteen in der kleinen kirche, das ich immer mal wieder verlinke, da entsteht was neues.

die stones jüngst fand ich entsetzlich ...

Henrike hat gesagt…

aber dieses aufgeregte einen hit haben müssen... *kopfschüttel

Henrike hat gesagt…

ich meine, da lob ich mir rufus. der redet seit jahren davon, dass er einen hit machen will und unbedingt was kommerzielles und so, und was macht er? natürlich keinen hit, weil er sich total verfranzt und wieder was wahnsinniges komponiert. aber er ist wenigstens ehrlich. jawoll.

Anonym hat gesagt…

verfranzt ist schön. franz hat sich ja verfranzt mit seinen romanen.

*lacht

Anonym hat gesagt…

also ich fand es einen genialen abend, mit einer tollen patti smith (die so aussieht, wie sie immer aussieht.....und das ist auch gut so!!!!!) die song/-gedichtauswahl war für meinen geschmack ebenfalls gut. okay, bei den zugaben hätte ich vielleicht auch mal gerne was anderes gehört (aber mitreißend rübergebracht hat sie auch die allemal). hat denn jemand gedacht, daß sie in der kirche rockt?!?!?! und immer dieser elendige vergleich mit "punkrock"....ich kann es nicht mehr hören. patti smith hat sich NIE in die punkecke drängen lassen. die medien machen sowas. sie ist viel mehr eine unglaublich vielseitige und für mich einmalige künstlerin. und sie hat es auch nicht nötig, dem "geneigten" publikum.....in den ar*** zu kriechen. sie spielt, was sie für richtig hält und wer patti smith kennt und mag, der weiß dies.
und nicht jeder, der patti smith mag, ist gleichzeitig ein "punkrocker".
zum cellisten giovanni sollima möchte ich sagen, daß er ein wirklich grandioser cellist ist. das zusammenspiel (musikalisch, wie auch sonst auf der bühne) hat verdammt gut gepasst. ich wußte vorher nicht, was und wer mich da erwartet......und war sehr positiv überrascht.
tja....sie kann es eben nicht allen recht machen....und auch das ist gut so!!!
gruß norman

Henrike hat gesagt…

da müsste man jetzt mal punk definieren, und zwar in der art, wie er VOR den sex pistols usw.
(und ich WUSSTE, ich bekomme ärger mit jemandem, der auch da war :))

Anonym hat gesagt…

ach ne, mit mir bekommt man doch keenen ärger ;-)
ich hab mich im laufe der zeit ne menge mit patti "beschäftigt" und auch verschiedene konzerte von ihr erlebt. die einen waren halt rockiger.....ja, vielleicht kann man manches bei ihren auftritten auch heute noch als "punkig" bezeichnen (du hast recht, über den begriff punk könnte man ziemlich diskutieren) und dann gab es halt diesen in der passionskirche, welcher nunmal (für mich) völlig anders war. und gerade deshalb hat es mir, mit allem drum und dran, so toll gefallen. guggst du hier (hab da auch mal was aus meiner sicht geschrieben) http://forum.rollingstone.de/showthread.php?t=30153 :-)
beim (hoffentlich) nächsten male in berlin wird sie bestimmt wieder einen anderen auftritt hinlegen, welcher dann auch wieder die einen glücklich macht und andere wieder eher nicht. so ist das nunmal mit den lieben künstlern....... ;-)
in diesem sinne....liebe grüße

Henrike hat gesagt…

aber, lieber norman, deinen bericht hatte ich doch schon läääääängst gelesen, bevor ich den meinen schmiedete! :)

Anonym hat gesagt…

Das ist eben das Problem mit den alten Helden. Was wirklich Neues machen sie nicht, für Rebellion und Punk sind sie zu alt und irgendwie müssen sie eine Rolle finden. Wie leicht war das noch mit der Generation davor, mit Bands wie den Stones: Wenn sie nicht an Drogen gestorben sind, können sie nun einfach so weiter machen wie bisher auch, keine Überraschungen, keine Experimente.
Das ist bei einer Musikrichtung, die davon ausgeht, dass man nichts können muss, natürlich schwierig, denn solche Menschen entwickeln sich halt bei langem Aufenthalt im Business doch zu Musikern - und wenn die dann auch noch versuchen, Kunst zu machen, wird es manchmal schwierig.
Oftmals ist es such so, dass die wüstesten Tiger im Alter zu zahmen Kätzchen werden. Und dann gibt es auch noch das Musikerproblem: Was früher schön nach Mülltonne klang, weil eben der Kumpel von nebenan das Instrument gespielt hat, wir nun zu was aalglattem, weil man sich natürlich Profimusiker holt. Bei Lou Reed war das zB der Gitarrist, der seine glatten, langweiligen Metalriffs über die Kunst gespielt hat und somit aufpoliert hat, was ganz schlimm gewesen wäre, wenn Herr Reed nicht zwischendurch mit etwas grandiosem Krach aus der seinen Gitarre gezeigt hätte, wäre das Konzert ganz leicht ins Langweilige abgerutscht. Und andere haben ihn bestimmt auch als grandiosen Gitarristen bezeichnet - nur hatte er da meiner Meinung nach nichts zu suchen.
Herzlichst,
Herr Stenzel