Montag, Juni 01, 2009

Die Mauer steht nicht mehr.

Im Norddeutschen Hof, Stadt Usedom.

Dramatis Personae:

Achtköpfige Reisegruppe aus Niedersachsen, Altersdurchschnitt ca. 80, darunter:
- der Älteste Ä
- der Besserwisser B
- der Nörgler N
- der Organisator O
- die Schlichtende S

Usedomer U, 57 nach eigenen Angaben

N: Hier gibt’s ja so gar nichts zum Unternehmen. Stellt euch mal vor, wir wären mit dem Zug, wie wär das denn!
B: Da hätten wir dreimal umsteigen müssen, und dann bekommt man keinen Mietwagen.
O: Doch, gegangen wär das schon. Das hättet ihr mir aber auch mal sagen können, das mit dem Mietwagen!
N: Jetzt ist auch wieder zu spät. Hier im Osten …
B: Ist doch gut, dass wir mit dem Bus.
N: In Rostock hätten wir auch noch mal halten können.
B: Da waren wir schon mal.
N: Eben. In Rostock kann man wenigstens was machen. Aber was macht man denn hier?
S: Ist doch schön hier. Und das Meer.
N: In Rostock ist auch Meer. Da hätten wir nicht bis hierher gemusst.
O: Dann machen wir das nächste Mal Rostock?
B: Toskana, und danach Pfalz, so war das geplant.
O: Aber wenn er doch Rostock …
S: Wir können ja abstimmen, wenn wir wieder …
N: Ist ja nichts los hier im Osten. Jetzt sitzen wir einfach im Osten fest. Was sollen wir denn hier machen, zwei Wochen lang?
U (deutlich angetrunken, löst sich von der Theke): Jetzt muss ich aber mal was sagen, ja? Wir sind auch nur Menschen, wir hier im Osten!
(Reisegruppe verstummt verwirrt)
U: Das war alles anders, als es noch die Mauer gab.
B: Ja, aber die Mauer steht schon lang nicht mehr.
U: Aber Sie, Sie kommen einfach hierher und sagen, die im Osten sind so schlecht, aber Sie kommen her und essen für Westgeld unser billiges Ostessen! Ich bin ein echter Usedomer, wussten Sie das?
Ä: Und wir sind Niedersachsen! Wussten Sie das? Niedersachsen, keine Sachsen! Ich kann Ihnen auch mal das Lied der Niedersachsen vorsingen, kennen Sie das?
S: Jetzt lass mal, schon deine Stimme!
Ä: Das Lied der Niedersachsen! Das kann ich singen!
S: Ach, vielleicht wann anders. Und jetzt sei still.
U: Und Sie kommen hier einfach so, mit dem Kohl, da macht der die Mauer weg und lässt Sie alle hier rein! Wir sind aber auch nur Menschen!
B: Der Kohl ist schon lange weg. Und die Mauer auch.
U: Mit dem Scheißgeld aus dem Westen, da hätten sie ruhig mal die Mauer stehengelassen.
Ä: Im Krieg haben wir immer so ein Lied gesungen, das ging so. (will anstimmen)
S: Pscht, nicht jetzt.
Ä: Hab ich dir das schon mal vorgesungen?
B: Wir finden es doch sehr schön hier. Und wir bezahlen auch für das Essen. So ist das ja nicht.
N: Ich hab doch gesagt, lasst uns nach Rostock fahren.
B: Das ist auch im Osten. Außerdem steht die Mauer nicht mehr.
U: Und ihr aus dem Westen fahrt einfach in den Osten!
S: Schauen Sie mal, Ihr Bier steht ja noch am Tresen, das wird doch warm.
U: Das hab ich bezahlt wie jeder andere auch hier! Und ich bin nicht aus dem Westen! Seit siebenundfünfzig Jahren wohn ich im Osten, und dann kommt einfach dieser Kohl und sagt, die Mauer ist weg, und jetzt sind die ganzen Leute aus dem Westen hier und bilden sich was ein!
N: Das wäre uns in Rostock nicht passiert. Das nächste Mal fahren wir nach Rostock.
O: Also doch nicht Toskana? Ich muss das nur wissen, wenn ich mit dem Reisebüro telefoniere.
Ä: Wir haben früher immer viel mehr gesungen. Heute singt ja keiner mehr.
U: Wenn mich einer gefragt hätte, ich hätte gesagt, lasst die Mauer stehen und hängt den Kohl tot über die Mauer!
B: Die Mauer steht aber nicht mehr!
S: Sollen wir Ihnen noch ein Bier ausgeben? Vielleicht beruhigt Sie das ein bisschen?
U: Ich trinke mein Bier wie alle anderen hier! Und ich bezahle es mit meinem Geld und nicht mit Westgeld! (spuckt auf den Boden)
B: Es gibt kein Westgeld! Es gibt nur noch den Euro!
Ä: Dann sing ich mal das Lied von den Niedersachsen. Wir sind ja nicht aus Sachsen, sondern aus Niedersachsen. Kennen Sie die Niedersachsen?
U: Im Leben war ich noch nicht im Westen!
B (mit der Geduld am Ende): Das hätten Sie mal machen sollen. Wir haben gute Bananen.
S: Das hättest du jetzt aber so auch nicht sagen müssen.
B (genervt): Gute Bananen! Ist doch wahr!
N: Man kann hier nichts machen auf Usedom. Dabei soll das doch so für Rentner sein.
O: Ich notier mir das mal alles. Das nächste Mal also Mietwagen?
U: Ich will keine Bananen, ich will noch ein Bier!
S: Wenn Sie wieder einfach an die Theke gehen und uns in Ruhe lassen, dann zahlen wir Ihnen Ihr Bier, einverstanden?
U: Ich nehme kein Westgeld!
Ä: Na gut, ich könnte das Lied singen, das wir in der Hitlerjugend …
Reisegruppe (Chor): Nicht jetzt!
U: Ich will wieder die Mauer! (zur Theke) Gebt mir die Mauer zurück! Ich will kein Bier mehr, ich will die Mauer zurückhaben!

3 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Himmel!

Henrike hat gesagt…

was soll man machen ...

Anonym hat gesagt…

nach der Mauer auch noch das Brett vorm Kopf wegnehmen. Bitte.