Die Welt ist eine so andere in Potsdam, wenn man sich erstmal an Berlin gewöhnt hat. Potsdam ist, in Teilen, viel geputzter, viel puppenstubiger. Wenn man nicht über die Autobahn fährt, sondern an meiner Haustür vorbei durch den Bezirk Zehlendorf, also über die B1, durch Wannsee, über die Glienicker Brücke, dann wird man schon darauf vorbereitet, dass gleich alles anders wird. Die Strecke ist schön, übrigens, ich fahre sie gerne.
Potsdam jedenfalls hat auch ein Brandenburger Tor, es ist, wie so vieles hier, eine winzigste Miniaturausgabe des Berliner Bruders. Vom Brandenburger Tor führt die Brandenburger Straße weg, Potsdams Einkaufsmeile und Fußgängerzone, gesäumt von niedlichen, sauberen Fassaden, bei Dunkelheit in warmes Straßenlicht getränkt, so dass die Wirkung des Unwirklichen nicht verfehlt wird. Nur wenige Schritte weiter am Ende der Brandenburger Straße, und man gelangt ins Holländische Viertel, wieder eine Puppenstubenausgabe, diesmal von Amsterdamer Straßenzügen.
Die Geschäfte schließen deutlich früher als in Berlin, aber das macht nichts, die Potsdamer gehen auch deutlich früher nach Hause. Sie gehen deutlich früher essen, und deshalb schließen die Lokale in der Brandenburger Straße deutlich früher, gerne gegen zehn. Niemand ist dann mehr auf der Straße, eigentlich um neun schon nicht mehr, bis auf vereinzelte Gestalten, und die haben etwas Verwegenes, ja Mutiges um die Mundwinkel, während sie die anderen vereinzelten Gestalten hemmungslos mustern und noch in Hörweite mit ihren Begleitern darüber diskutieren, wo die gerade Passierten denn hin unterwegs sein mögen.
Neun Uhr ist es also, als uns das angeblich kambodschanische Restaurant mit Rausschmeißmusik (Klassikpop) belästigt und der vermutlich chinesische Keller nicht müde wird, neben unserem Tisch auf und ab zu gehen. Bedeutungsvoll und doch scheinbar gedankenverloren klopft er hin und wieder dabei auf seine Hosentasche, in der sich die Geldbörse versteckt, bis ich flüstere: Ich glaube, er will, dass wir zahlen. Schon steht er lächelnd mit der Rechnung neben uns, erklärt: Sie wollten zahlen?, und entlässt uns auf die einsame Straße. Einen Moment lang scheinen wir in Babelsberg, in irgendeiner Filmkulisse, so still und leer starren uns die Häuserfronten an. An einer Bar steht groß angeschrieben: Raucherbar, und wir gehen hinein, nicht wegen des Rauchens, sondern weil dort noch Licht ist, auch wenn sich innen niemand außer dem Barkeeper findet.
Es gibt Laphroaig, gleich zwei Flaschen stehen dort, und der Barkeeper kennt sich aus. Er weiß um die richtigen Gläser und bietet weder Eis noch Wasser noch Cola dazu an. Auch das ist anders als in Berlin: Der Mann versteht seinen Job. Hat sogar gute Laune und versucht nicht, seine Gäste gleich wieder durch beleidigtes „Jetzt soll ich auch noch arbeiten für mein Geld“ zu vertreiben. Doch, es ist gut, dort zu sein, und entgegen aller Erwartungen und Hoffnungen füllt sich nach zehn Uhr tatsächlich die Bar, was nur den Schluss zulässt: Es gibt zwei Sorten Potsdamer, die, die vor neun nach Hause gehen, und die, die nach zehn das Haus verlassen. Falls es dieselben sind, muss es einen Grund geben, warum sie für eine Weile in ihren Häusern verschwinden.
Es wird sogar richtig voll, ein Tisch besteht allerdings aus sechs bis sieben besten Freunden des Barkeepers. Sie starren uns an, oder vielleicht auch nur mich, da ist er wieder, der Beweis, dass Potsdam so viel kleiner ist. Fremde fallen auf den ersten Blick auf, aber das macht nichts, sie sind zahm, die Potsdamer, und sie machen es schon ganz gut, mit dem Essen und mit dem Getränkeausschenken. Sogar die Einrichtung passt sich der vielversprechenden Außenwirkung an. Fast wäre es zu schön in diesem Potsdam, doch die Fotoausstellung an den Wänden der Bar – schwarzweiße Porträts unterschiedlicher Frauen in verträumt-pseudoerotischen Posen - erinnert mich an das, was in mittelhessischen Kleinstädten von den Passbildfotografen in die Schaukästen am Bahnhof gehängt wird. Plötzlich fühle ich mich wieder wie in dieser Postkarte, in der ich aufwachsen musste, und Postkarten lassen einem verdammt wenig Platz, egal wofür.
Sonntag, Januar 20, 2008
Bilderbuch
Eingestellt von Henrike um 3:10 AM
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4 Kommentare:
Schöne Geschichte. Gab's in Potsdam Spuren von Anobella?
Georg
mittelhessen ist überall...
das sitzt bestimmt tief...
Was nur alle gegen Mittelhessen haben, die Örtlichkeit ist doch sowieso nur eine Kulisse, vor der der ewig gleiche Mensch seine Sinnlostragödien und -komödien aufführt. Das Leben... ein einziges Theaterspiel und wenn einem etwas unwirklich oder bilderbuchhaft vorkommt, ist es dann nicht vielleicht sogar echter, als wenn es den Anschein von "Realität" erweckt?
wenn man aus mittelhessen kommt, besteht offenbar das gesamte leben aus realitätsflucht.
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