Dienstag, Mai 13, 2008

Heimat ist, was man ständig sieht


Mein Vater hat die bemerkenswerte Fähigkeit, überall Mittelhessen und seine nähere Umgebung zu sehen. Als ich mit ihm quer durch Schottland wanderte, erkannte er in den sanften Hügeln des beginnenden Hochlands den Taunus. London war für ihn die reinste Kopie von Frankfurt am Main, und Neuschwanstein verglich er zwanghaft mit dem Braunfelser Schloss. Er ist nicht der einzige.
Immer wieder im Leben, ganz egal, wohin ich mich flüchte, verfolgen mich Gimmler-Busse. Gimmler ist der Reiseveranstalter im Lahn-Dill-Kreis. Gimmler karrt jährlich tausende Mittelhessen durch die Welt. Man erkennt sie sofort, aber das erklär ich mal wann anders. Jedenfalls stolpere ich häufig über so eine Gimmler-Gruppe, und dann höre ich die Leute sagen: Ei, gugge mal, wie daheim. Ich habe sie schon die Gedächtniskirche mit dem Wetzlarer Dom vergleichen hören, und in den Dolomiten erinnern sie sich gerne an den Stoppelberg.
Und dann letztens: Ich sehe ein Auto mit LDK-Nummernschild in Blankenese parken, mir schwant fürchterliches. Am Bismarckstein dann auch ein bekanntes Gesicht: Sie sitzt dort und genießt die Aussicht auf die Elbe und die ausfahrenden Schiffe vom Hafengeburtstag. Wie daheim, seufzt sie, und ich, wissend, dass sie trotz LDK-Nummernschild schon seit Jahren in Hamburg lebt, frage: Was, jetzt echt? Hier sieht’s aus wie bei Dir in St. Georg? Sie schüttelt ungeduldig den Kopf: Nee, wie in Wetzlar! So grün! Und das da unten könnte auch die Lahn sein. Naja, so ohne die Schiffe und das alles, aber findest Du nicht, es ist genau wie in Wetzlar?
Find ich nicht. Wie gut, dass ich nirgendwo Mittelhessen sehe.
Heute fahre ich mit der S-Bahn in der Stadt herum, und weil ich ja noch Hamburg kennenlernen muss, sehe ich aus dem Fenster. An einer Stelle denke ich: Ach, das könnte ja jetzt auch Steglitz sein.

7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die U3! Die U3! Am Hafen entlang! An den Landungsbrücken aussteigen, sich auf die Fähre 64 nach Finkenwerder werfen, dem Millionär ins Schlafzimmerfenster gucken! Ach! Die U3! Die 64! Auch die R50 nach Stade am frühen Morgen!

Anonym hat gesagt…

@ Smarf: Freudige Erregung beim Anblick des Hafens ist ja schön und gut, mir geht's ja genauso, aber das ist noch lange kein Grund, die werte Dame in die Irre zu führen. Denn auf die 64er Fähre kann sie an den Landungsbrücken warten, bis sie alt und grau und zahnlos wird. Es ist die Fähre 62, die nach Finkenwerder fährt, von dort dann mit der Fähre 64 rüber nach Teufelsbrück. Dann die Elbe entlang nach Blankenese. Vielleicht am Ende im Witthüs im Hirschpark einkehren, wobei ich da schon lange nicht mehr war und nichts sagen kann zur Qualität von Kuchen und Service, aber insgesamt wäre das dann ein schönes Programm,

herzliche Grüße
der Flaneur

albertsen hat gesagt…

Da hab ich's beser. Da, wo ich herkomme, ist es so flach, dass es keine Berge gibt, mit denen man andere verlgiechen könnte. Obwohl, letztes Jahr in Fife, das sah doch irgendwie so aus wie in Angeln...

Henrike hat gesagt…

@flaneur: witthüs kenn ich, wenn ich da bin, kann ich eigentlich schon nach hause laufen. oder gleich zu lühmanns, weil, erstens gefällt's mir da besser und zweitens ist es näher bei mir am haus :)
@smarf: ich werde berichten!

Henrike hat gesagt…

@albertsen: nicht verzagen. vielleicht kommt irgendwann eine tektonische verschiebung, und angeln kriegt berge.

Anonym hat gesagt…

*lach*
Recht hast Du! So sind die Middelhesse!
Ich kann mich daran erinnern, dass ich in den ersten beiden Hamburg-Semestern regelmäßig von Wilhelmsburg nach Stellingen zur Informatik geradelt bin. Auf der Heimfahrt begegnete ich IMMER einem Gimmler-Bus!
Ansonsten konnte ich bei meinem letzten Wetzlarbesuch (dem ersten seit drei Jahren) letzten Sommer feststellen, das dort NIX so ist wie daheim (damit meine ich Altona!)
Gruß
Chris

Anonym hat gesagt…

Stimmt. Der Flaneur hat recht. Ich habe es nachgeprüft. Es ist die 62. Also, das täte mir leid, wenn Du jetzt irgendwo festhingest und diesen Kommentar gar nicht lesen könntest. Die 62! Ach, die 62!