Dienstag, Januar 19, 2010

Kleine Textprobe "Von wegen Traummann"


So aus der Nähe betrachtet sah Kolbe viel älter aus als fünfzig. Die Konturen seines Gesichts waren weich und schwammig, und in seinem Blick lag etwas Gehetztes. Kein Wunder – das Telefon in seinem Vorzimmer läutete ununterbrochen, und in seinem Büro liefen zwei halblaut geschaltete Fernseher parallel mit unterschiedlichen Nachrichtensendern. Er hatte zwei Assistenten, attraktive Männer in meinem Alter, die nahezu identisch aussahen. Angeblich hatte seine Frau dafür gesorgt, dass keine jungen, hübschen Sekretärinnen mehr in seiner unmittelbaren Umgebung tätig waren. Sie war selbst seine Sekretärin gewesen, bevor sie geheiratet hatten. In einem Schrank hinter seinem Schreibtisch standen blank polierte Sportpokale, die man ihm entweder ehrenhalber oder in einem früheren Leben verliehen haben musste. Er sah nicht so aus, als hielte er sich in Form. Den Schreibtisch säumten die obligatorischen fotografischen Beweise eines glücklich inszenierten Familienlebens. Die Alstervilla im Hintergrund war stets klar erkennbar. Wenn nicht sie, dann die Segelyacht.
„Das ist also unsere Frau …“, er sah auf einen gelben Post-It, der am Laptop auf seinem Schreibtisch klebte, „Hansen“, begrüßte er mich und stand auf, um mir die Hand zu schütteln.
„Setzen wir uns. Bitte hierhin.“ Er lotste mich zu einem geräumigen schwarzen Ledersofa und setzte sich mir gegenüber in einen ebenso geräumigen schwarzen Ledersessel. „Moritz, bringen Sie mal. Wo ist denn!“
Moritz, einer der Assistentenklone, kam mit einem Tablett voller Keksen und Getränken angeflitzt und deckte den riesigen Glastisch. Schneider-Martins stand mit einem festgefrorenen Lächeln mitten im Raum und klammerte ihre Finger ineinander.
„Herr Kolbe“, hüstelte sie. „Ich …“
„Jajaja, Frau Schneiders … ähm, Dings, Sie können dann mal.“
Schneider-Martins wurde von Moritz schwungvoll aus dem Raum geschoben. Die Tür schloss sich sanft. Wir waren allein. Ich grinste Kolbe hilflos an.
„So. Sie sind also.“
Ich grinste immer noch.
„Da haben Sie ja was Dolles … Trinken Sie ruhig. Ist ja alles da.“
Da er keine Anstalten machte, sich selbst oder sogar mir etwas einzuschenken, schraubte ich eine der Wasserflaschen auf und hielt ein Glas fragend in seine Richtung.
„Sie können! Ich hab schon.“
Wo er was hatte, wurde mir nicht klar, aber ich goss mir gehorsam Wasser ein. Es sprudelte wie verrückt. Kohlensäure. Ganz prima.
„Tja. Dann werden Sie die arme Schneiders … ähm … wohl verlassen.“ Er faltete seine Hände über dem Bauch, und ich trank vor Schreck einen Schluck.
„Ist sehr traurig, die Gute. Mal sehen, was uns da einfällt, damit sie nicht völlig. Sie wissen schon.“
Ich nickte unwissend und bekam Schluckauf.
„Trinken Sie. Dann geht’s besser.“
Ich trank folgsam, obwohl ich wusste, dass der Schluckauf von der Kohlensäure kam.
„Ihre Artikel, die waren ja so was von. Passiert nicht oft.“
Verdammt. Ich war geliefert. Vorsorglich hielt ich die Luft an.
„Sie können sehr stolz auf sich sein. Aber das ist Ihnen ja klar.“
Okay, ich war doch nicht geliefert. Dann waren meine Artikel offenbar gar nicht sooo schlecht angekommen. Oder warum sollte ich wohl stolz sein? Ich hickste und traute mich nun gar nicht mehr, etwas zu sagen. Wer weiß, vielleicht änderte er schlagartig seine Meinung, oder ich hatte die Ironiemarker übersehen?
„Man hat mir gesagt, Sie haben schon mal bei ‚Architektur erleben‘ gearbeitet. Dann kennen Sie das Team ja schon. Werden sich schnell einarbeiten. Sind alles nette Menschen.“ Er warf mir einen väterlichen Blick zu. „In Ihrem Alter gewöhnt man sich ja schnell.“
Ich hickste nickend.
„Der Chefredakteur, Wieheißtergleich, das hätten Sie mal erleben sollen, wie der von Ihnen geschwärmt hat, seit er vorab schon mal in die neue ‚Garten erleben‘ gelinst hat. Na“, er erhob sich, „dann gehen Sie gleich mal runter und machen sich bekannt. Obwohl, Sie kennen sich ja. Gehen Sie! Gehen Sie! Nicht so schüchtern!“
Ich stand schnell auf, hickste gewaltig und schüttelte seine ausgestreckte Hand.
„Nur für die Dings, da müssen wir uns was überlegen. Die kann aber nicht auch noch. Kennt sich nicht aus und kann mit dem Wieheißtergleich nicht so. Also dann, viel Erfolg, und Moritz, bringen Sie sie doch mal, Sie wissen schon.“

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