Dinge wie The Blairwitch Project sind im Grunde uralte Tricks. Ich weiß, es ist schon wieder zehn Jahre her, aber das meine ich nicht mit uralt. Ich meine: Jemand behauptet, dass das, was er sich selbst ausgedacht hat, authentisch ist. Das haben schon viele vorher gemacht, James Macpherson zum Beispiel, der so gegen Siebzehnhundertirgendwas in Edinburgh Hauslehrer war und von einem Kritiker aufgefordert wurde, alte gälische Gesänge und Gedichte zusammenzusuchen und zu übersetzen. Er wusste nicht, wo er so etwas herbekommen sollte, war wohl auch zu faul zum Suchen, dachte sich selbst ein paar Balladen aus und tat so, als hätte er sie eben mal aus dem Gälischen übersetzt. Das Ganze ging als Ossian in die Literaturgeschichte ein, und ehrlich gesagt wollte trotz kritischer Stimmen keiner so genau wissen, ob die Gedichte nun echt waren oder nicht. Im Handumdrehen wurden die Ossiangesänge zu einem Megaerfolg. Zum Beispiel stießen sie das ganze Sturm und Drang-Getue in Deutschland an. Schön zu wissen, dass eine unserer wichtigsten literarischen Strömungen auf banale Fälschungen zurückgehen.
Usedom hat auch etwas in der Art. Usedom hat die Bernsteinhexe. Die hat nun leider keine wilden Literaturströmungen angestoßen, unterhält aber immer noch ein paar Touristen. Die Bernsteinhexengeschichte ist keine Sage, sondern eigentlich ein Roman von Wilhelm Meinhold, Mitte 19. Jahrhundert. Es geht um die brave Pfarrerstochter Maria Schweidler, die Bernstein verkauft, um ihre Familie zu unterstützen. Bernstein liegt ja an der Küste immer mal so im Sand rum, wie wir wissen. Irgendjemand wollte was von der lieblichen Maria, das reine Wesen sträubte sich, und der miese Kerl rannte gleich los, um sie als Hexe anzuzeigen. Weil, wo kam denn das ganze Geld her, und überhaupt, Frauen. Der Scheiterhaufen wurde schon mal angewärmt, Maria zusammengeschnürt, als der Prinz, äh, Graf von Irgendwas auf seinem Schimmel vorbeigeritten kam, um sie zu retten und, klar, zu ehelichen. (Man konnte damals nicht einfach Frauen retten, ohne sie hinterher zu heiraten.)
Jedenfalls wurde das Manuskript ohne Wissen des Autors gedruckt, und der Verleger tat so, als basiere es auf der Handschrift des armen Koserower Pfarrers, seines Zeichens Vater besagter Maria. Ein Originalbericht aus dem 17. Jahrhundert also. Nachdem sich Meinhold angesichts des Erfolgs in die Brust warf, um zu sagen: Alles meins!, wollte das keiner mehr hören und lieber weiter dran glauben, dass es eine wahre Geschichte war.
Wie gerne wir doch an der Illusion der Wahrheit festhalten.
Und wenn die Bernsteinhexe der Ossian von Koserow ist, dann ist Vineta das Atlantis von Usedom. Aber dazu mehr an anderer Stelle.
Donnerstag, August 09, 2007
Die Bernsteinhexe von Koserow (Usedom)
Eingestellt von Henrike um 1:53 AM
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen