Mittwoch, Juni 06, 2007

Von Menschen und Zügen (Schottland et al.)


Aussicht von der North Bridge

Im Scotsman

Keine Aussicht von der North Bridge

Gestern brach der Verkehr im Zentrum von Edinburgh zusammen, und die Züge fuhren auch nicht mehr so, wie sie eigentlich sollten. Wofür man in Rostock x-tausend Demonstranten und vergleichbare Mengen Polizisten braucht, das schafft in Schottland eine einzige Frau, die zur Hauptverkehrszeit beschließt, in selbsttötender Absicht auf das Geländer der North Bridge zu klettern. Die North Bridge, muss man dazu sagen, führt über keinen Fluss, sondern über die Eisenbahntrasse, die zur Waverleystation gehört. (Das ist sowas wie der Lehrter Bahnhof. Äh, Hauptbahnhof. Egal.) Sie geht über die - nennen wir es mal unmetaphorisch - Schlucht zwischen Old und New Town.
Diese Frau also suchte sich einen recht beliebten Selbstmordort mit hervorragender Verhinderungsinfrastruktur, bestehend aus Zeugen mit Handys, herbeieilenden Polizisten und sofort bereitstehenden Krankenwagen, aus. Denn wäre sie gesprungen, sie wäre nicht die erste gewesen. Das kennt man schon in Edinburgh. Es haben sich sogar so viele Schotten genau dort hinabgestürzt, dass die Samariter eine Hotline am ehemaligen Hauptgebäude der Zeitung "Scotsman" eingerichtet haben. (Jetzt ein Hotel und vorne ein Restaurant, sehr stylish, Tische mit Blick auf die Brücke kosten extra.) Gegen zwei hatte die Frau keine Lust mehr, sich dauernd von fremden Leuten sagen zu lassen, dass das Leben doch sehr lebenswert sei und man könne doch über alles reden, und kletterte wieder runter. Sowas will man auch nicht als letztes im Leben hören. Dann lieber doch nicht. Oder mal später, vielleicht.
Schienenselbstmorde und solche, die es hätten werden können, begegnen mir blöderweise dauernd in Großbritannien. Zu Schulzeiten fing es an, stundenlang saßen wir im Zug vor Reading fest, weil irgendjemand nicht von den Schienen runterkommen wollte, nein, erst, wenn der Zug über ihn drüber usw.
Die unangefochtene Spitzengeschichte allerdings, zugegeben die einzige mit echtem Unterhaltungswert: In London vor gut zehn Jahren, als West Brompton Tube Station außerplanmäßig geschlossen war – ohnehin ein altersschwaches Ding, das Abends und an den Wochenenden zu war und statt der schicken Ticketkontrollautomaten mies gelaunte lebendige Kontrolleure herumstehen hatte, vielleicht ist es heute anders. Jedenfalls war die Tür verrammelt, und ein handgeschriebener Zettel teilte lakonisch mit: "Due to a person under a train, this station is temporarily closed."
Das muss man sich mal, also so bildlich, ich meine…
Ah, well.

2 Kommentare:

Hannes Riffel hat gesagt…

Vielen Dank für die nette Beschreibung - das konnte ich gerade gut für eine Übersetzung gebrauchen. In Edinburgh war ich auch mal, aber das ist, oje, über zwanzig Jahre her.

Herzlichst

Hannes

Henrike hat gesagt…

jederzeit gerne wieder. was braucht's denn noch?