Montag, Juni 04, 2007

Berlin, Weltstadt usw.

Die Gegend um das Kottbusser Tor ist die Sorte Berlin, vor der uns unsere Eltern immer gewarnt haben, die wir aber immer spannend fanden, SO 36 war Zwangsgutfindenprogramm. Das vergisst man irgendwann, wird mit der Zeit soziophobischer und zieht sich in Dahlemer Villen und Parks zurück, wo einen jeder in Ruhe lässt und bestenfalls die Eichhörnchen für Aufregung sorgen. Bis man sich in Kreuzberg verabredet. Weil, Besuch von anderswo, die wollen ja auch mal Berlin sehen und sind eh gerade, ob ich nicht auch mal dorthin.
Na gut. Dann eben Kreuzberg.
"Wir stehen an der U-Bahnhaltestelle, so schräg gegenüber."
Prima, am Kottbusser Tor so schräg gegenüber. Das hilft ja. Einmal eine viertel Stunde Suchen bei über dreißig Grad und sozialem Brennpunkt.
"Wo kann man denn hier mal son Bier?"
"Keine Ahnung, woher soll ich das denn?"
"Du wohnst doch hier."
"Ich? Hier? Nein."
"Du wohnst nicht mehr in Berlin?"
"Ja aber doch nicht…"
"Dann kennt man sich doch trotzdem aus!"
Klar. In jedem einzelnen Stadtteil. Prima.
"Ich hab mir immer vorgestellt, in Berlin, da ist eine Kneipe an der nächsten!"
Na dann: Oranienstraße. Eine Kneipe an der nächsten. Wir setzen uns vor irgendeinen Laden auf die Straße. Ich will mich entschuldigen, dass es nichts Schöneres zu geben scheint, aber die Besucher sind entzückt.
"Genau so haben wir uns Berlin vorgestellt!"
"Laut und dreckig?"
"So – voller Leben halt!"
"Ah. Ja."
Alle fünf Minuten kommt ein riesiger BMW vorbei (jedes Mal ein anderer, klar), hält mitten auf der Straße oder gegen die Fahrtrichtung geparkt. Der Fahrer (männl., dunkler Typ, viiiiel Schmuck und groooße Armbanduhr) springt aus dem Wagen, lässt den Motor laufen, geht breitbeinig auf einen Tisch mit ähnlich aussehenden Typen zu, legt einem die Hand auf die Schulter, redet schnell und viel, die Hand liegt immer noch auf der Schulter, hört eine Weile zu, nimmt die Hand von der Schulter, macht Handgebrituale mit allen am Tisch, stiefelt zurück zum Auto, breitbeinig, gibt Gas, macht die Tür zu, fährt über die rote Ampel. Jedes Mal.
Mir fällt plötzlich auf, dass hier fast keine Frauen sitzen.
Die Besucher sind immer noch entzückt.
"Ach das ist sooo toll hier!"
Ich denke: Mädchenhandel? Drogen? Ich sage: "Äh, klar, vor allem die Cola, kostet nur einsfuffzich."
"Ja und alles so – wie soll ich sagen…"
"Voller Leben?", sage ich und denke: Waffen? Organhandel???
"Schon bisschen Klischee", sagt einer und schaut dem fünften BMW-Typen hinterher, der mit quietschenden Reifen über die rote Ampel fährt. Ich nicke. Endlich, sie haben verstanden.
"Schon bisschen komisch, oder?", sage ich voller Hoffnung.
"Ja, echt, dass so Typen den X5 IMMER nur in Metallicblau fahren müssen! Der ist viel schöner in ner anderen Farbe! Schon mal in Dunkelgrün gesehen?"
Liegt das an mir? Versteht mich denn niemand da draußen? Oder hab ich berufsbedingt eine verschobene Wahrnehmung?

1 Kommentar:

jaromil73 hat gesagt…

Und ist die Welt auch noch so groß
ich komme von einem Gedanken nicht los:
wenn wir schon alles vorher wissen
lohnt´s nicht mehr aus dem Haus zu müssen
also, egal ob mit Scotch oder mit Wein
schön darauf achten immer neugierig sein!