Freitag, August 10, 2007

Der Traum vom Untergang

Vineta, heißt es, war so ungefähr bis zum Hochmittelalter, bis zur nicht sehr sanft verlaufenden Christianisierung Pommerns, die Handelsmetropole der Ostsee. Die größte Stadt Europas, auch die multikulturellste. Jeder, einfach jeder, der etwas auf sich hielt, lebte dort. Kein Wunder, die Torbögen waren aus purem Gold, die Kirchenglocken aus reinem Silber, und die Straßen vermutlich aus Bernstein, so in etwa muss man sich das vorstellen, und alle Bewohner – wovon es viele gab, hunderttausende gar – besaßen solche Reichtümer, dass sie gar nicht mehr wussten, wohin mit dem Zeug. Daher, heißt es, wurden sie alle entsetzlich hochmütig und eingebildet und, ja, gottlos (man bedenke: Christianisierung etc.), und achteten nicht auf die (gar nicht christlichen, sondern eher heidnischen) Zeichen: Lichter über der Stadt, die die Ältesten als Warnung vor dem nahenden Untergang deuteten, eine hübsche Meerjungfrau, die etwas schrill vor der Küste den Abstieg besang. Keiner wollte weg, klar, das ganze Gold und Silber und so, also wurden sämtliche Bewohner und damit Vinetazeugen wenige Tage später von der hereinbrechenden Flut weggespült. Das war’s dann.



Jahrhundertelang sprach erstmal niemand mehr von Vineta, bis etwa in der Frühen Neuzeit ein wahrer Vinetakult einsetzte. Bis heute versucht man, die angeblich versunkene Stadt zu lokalisieren, ähnlich wie Atlantis, nur dass das in Frage kommende Gebiet deutlich kleiner ist. Verschiedene Orte beanspruchen aus touristischen Gründen die Nachbarschaft zu Vineta, darunter Wollin (das ist die andere Insel gleich neben Usedom in Polen) und Koserow (das liegt auf Usedom). Am Strand von Koserow, heißt es, hört man bei Windstille den Klang der silbernen Glocken aus dem Meer.
So und so ähnlich heißt es also.
Einerseits ist es der Region im Nordosten zu wünschen, dass man dort wirklich eines Tages Überreste der sagenhaften Stadt findet. Andererseits weiß man nicht so genau, welchem in Frage kommenden Ort man Vineta eigentlich mehr wünschen soll, verdient und nötig hätten sie’s alle. Und dann: Will man es wirklich finden und dadurch den Mythos zerstören? Vielleicht käme heraus, dass das alles gar nicht so stimmt, das mit dem Gold und dem Silber und dem Bernstein? Oder dass Vineta deutlich kleiner war als angenommen? Und wenn einer den Zuschlag bekommt, was ist dann mit den anderen?
Nein, besser ist’s so. Mythen sind schöner. Atlantis, nicht wahr.

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