Mittwoch, Januar 02, 2008

Frohes Neues

Ich feiere Silvester diesmal schön gesetzt mit ein paar Dahlemer Millionärswitwen aus der weiteren Nachbarschaft. Ihre Töchter sind auch dabei, die wiederum ihre eigenen Töchter mitgebracht haben, und so hat es erstmal etwas von einer netten Familienfeier. Nett, weil man sich nicht so gut kennt, wie man es normalerweise bei Familienfeiern tut, und so fallen die üblichen Beleidigungen, Vorwürfe und blöden Bemerkungen, die Familienfeiern im Durchschnitt auszeichnen, aus. Bis auf einen Haken.
Die Abwesenheit von Männern in der Runde wird mir erst so richtig bewusst, als alle der Reihe nach anfangen, über ihre gescheiterten Ehen zu sprechen. Der einzig anwesende Mann, von mir importiert, verschwindet taktvoll in der Küche und backt Pizza für ungefähr fünfzig Personen, damit es länger dauert. Vielleicht war es doch keine so gute Idee von mir, Loriots Gesammelte Werke mitzubringen, aber man hat mich bestochen und schließlich gar gezwungen, aus den „Szenen einer Ehe“ vorzulesen. Nach der fünften Champagnerrunde ist es beschlossene Sache: Männer sind völlig überflüssig. Sie machen nur Lärm und Dreck, reden nie, wenn sie sollen, und abgesehen davon wollen nur eins: ans Geld ihrer Ehefrauen.
Nach der achten Champagnerrunde sind die Damen bei den Ehetraumata ihrer besten Freundinnen (streng vertraulich). Interessiert höre ich die Geschichte über eine Dame (65), deren Ehemann (84) –von der nichtkommunizierenden Sorte – von ihrem Geliebten (69) weiß und ihr regelmäßig hinterherschleicht, um herauszubekommen, wer der Typ ist. Sie hängt ihn ebenso regelmäßig ab, indem sie kurz vor der Bushaltestelle Haken schlägt oder in ein Taxi springt, aber jedes Mal, wie schön, denkt sie zugleich an das schwache Herz ihres Gatten. Die Erzählerin (77) lobt gerade die neue Lebensfreude ihrer Freundin, seit sie sich diesen Geliebten hält, der praktischerweise denselben Vornamen trägt wie der Ehemann, und schon will sie von dem neuerdings erfüllten Sexualleben der Freundin berichten, als ihr Blick auf uns fällt. Wir, das sind neben mir die Töchter, ältestenfalls Mitte 40, die Enkelgeneration hat man ja schon zu Beginn ins Spielzimmer verfrachtet. Sie blickt uns also an und verzichtet auf den weiteren Bericht. Ich werde das Gefühl nicht los, dass sie uns für zu jung und unverdorben für die Sexgeschichten ihrer Freundin hält.
Die nächsten Champagnerrunden verlaufen etwas schweigsamer, denn der Mann kommt mit den Pizzabergen aus der Küche. Ich verstecke das Loriot-Buch hinter ein paar Blumentöpfen in der Loggia und lenke die Aufmerksamkeit auf den Fernseher, um die eisige Stille zu überspielen. „Dinner for One“ scheint mir sicheres Gewässer zu sein, und es hört auch pünktlich um Mitternacht auf. Tatsächlich passiert auch nichts Dramatisches, vielleicht, weil die Männer in dem Stück schon alle tot sind, bis auf den betrunkenen Butler, und er macht ja alles, was seine Herrin ihm befiehlt. Nach dem Anstoßen und Feuerwerk und Frohesneues packe ich ein paar Kilo kalte Pizza zur Wegzehrung ein und versuche, den Mann unauffällig aus dem Haus zu schmuggeln, am besten mit mir, denn ich will auch nach Hause. Man raunt mir noch von allen Seiten Ratschläge ins Ohr, die besagen, ich solle Männern keinesfalls trauen, „Sieh, was aus mir geworden ist“, und wenn es denn ganz unvermeidbar zum Alleräußersten käme: nie ohne Ehevertrag. Visitenkarten von Scheidungsanwälten folgen, und plötzlich werden die Kinder aus dem Spielzimmer befreit, man hat ganz vergessen, sie zum Feuerwerk rauszulassen. Ich vermute, der Mann hat die Tür geöffnet, um abzulenken, wohl weil er in den letzten Minuten noch um sein Leben fürchtete, da der Satz „Naja, es gibt bestimmt auch Nette“ nach der fünfzehnten Champagnerrunde für ihn eher wie eine Morddrohung klang.
„Aber die waren doch nicht alle geschieden“, fragt er schließlich, als wir uns vor ein paar verirrten Restböllern in einen Villenvorgarten retten. „Manche hatten doch sicher auch eine ganz gute Ehe?“ Ich zucke die Schultern, und er sagt nach ein paar Minuten: „Die beiden links unten am Tisch zum Beispiel, die waren doch verwitwet?“ Ich nicke, „Eben drum“, und er schluckt: „Ähm, wie sind die Ehemänner von denen eigentlich gestorben?“

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